"Freie" Kündigung: Was muss der Auftragnehmer zum anderweitigen Erwerb darlegen?

BGH, Beschluss vom 15.03.2023 - VII ZR 150/22 BGB a.F. § 649; BGB § 648; VOB/B § 8 Abs. 1 Nr. 1, 2

1. Kündigt der Auftraggeber einen Bauvertrag "frei", sind vom Auftragnehmer bezüglich des auf die nicht erbrachten Leistungen entfallenden Vergütungsanteils nur solche (sekundären) Darlegungen zu einem eventuell anderweitigen Erwerb erforderlich, die dem Auftraggeber eine sachgerechte Rechtswahrung ermöglichen.
2. Dazu reicht es zunächst aus, wenn sich der Auftragnehmer zu Füllaufträgen wahrheitsgemäß, nachvollziehbar und widerspruchsfrei erklärt. Die Angaben müssen dabei allerdings umso genauer sein, je wahrscheinlicher ein anderweitiger Erwerb ist.

BGH, Beschluss vom 15.03.2023 - VII ZR 150/22

BGB a.F. § 649; BGB § 648; VOB/B § 8 Abs. 1 Nr. 1, 2

 

Problem/Sachverhalt

Ein VOB/B-Vertrag wird vom Auftraggeber (AG) "frei" gekündigt. Von dem für die nicht erbrachten Leistungen begehrten Vergütungsanteil i.H.v. 22.000 Euro hält das OLG nur den Pauschalanspruch gem. § 649 Satz 3 BGB a.F. i.H.v. 1.500 Euro für begründet. Denn nach seinem eigenen Vortrag habe der Auftragnehmer (AN) stets Aufträge in einem die eigene Kapazität übersteigenden Umfang angenommen und seine Mitarbeiter daher nach der Kündigung auf anderen Baustellen einsetzen können. Zu diesem anderweitigen Erwerb und der behaupteten geringeren wirtschaftlichen Effizienz des alternativen Personaleinsatzes habe der AN nicht hinreichend vorgetragen. Hiergegen richtet sich der AN mit seiner Revision.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Es kommt beim anderweitigen Erwerb zunächst nur darauf an, ob ein Füllauftrag erlangt oder böswillig nicht erlangt worden ist. Deshalb reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der Unternehmer dazu wahrheitsgemäß, nachvollziehbar und widerspruchsfrei erklärt. Je wahrscheinlicher ein anderweitiger Erwerb ist, umso genauer müssen allerdings die Angaben sein. Da vorliegend greifbare Anhaltspunkte für die wirtschaftlich gleichwertige Beschäftigung des Personals bestanden, ist das OLG beanstandungsfrei von einer Verletzung der sekundären Darlegungspflicht durch den AN ausgegangen.

Praxishinweis

Der anteilige Vergütungsanspruch des AN, der nach einer freien Kündigung des AG auf die bislang nicht erbrachten Leistungen entfällt, besteht gem. § 648 Satz 2 BGB von vorneherein nur abzüglich der ersparten Aufwendungen und eines anderweitigen Erwerbs. Die Beweislast für die Höhe dieser Abzüge liegt dabei grundsätzlich beim AG, der aber regelmäßig keine Kenntnis über die Betriebsinterna des AN hat. Hier nun setzt die vorliegende - die bisherige Rechtsprechung (vgl. BGH, IBR 2015, 201) bestätigende - Entscheidung an. Danach trifft den AN eine sekundäre Darlegungslast, wonach er im Rahmen seiner Abrechnung über die kalkulatorischen Grundlagen jedenfalls so viel vortragen muss, dass dem AG eine sachgerechte Rechtswahrung ermöglicht wird. Ein unzureichender Vortrag kann dann auch nicht durch eine gerichtliche Schätzung gem. § 287 ZPO "geheilt" werden. Andererseits findet die sekundäre Darlegungslast ihre Grenze in der Zumutbarkeit für den AN. Das führt zu einer abgestuften Darlegungspflicht. Während zu den ersparten Aufwendungen per se genauere Ausführungen erforderlich sind, kann es unter Umständen hinsichtlich des anderweitigen Erwerbs genügen, einen solchen pauschal oder sogar stillschweigend zu verneinen (KG, IBR 2018, 495). Nicht zuletzt, weil der AN selbst das Bestehen von vorsorglich angenommenen Füllaufträgen einräumte, musste er diese vorliegend auch konkret abrechnen. Für einen AN kann es also ratsam sein, sich bei seiner Abrechnung zunächst auf den Mindestvortrag zu beschränken. Hält das Gericht weitere Ausführungen zu den Füllaufträgen für notwendig, muss es ohnehin darauf hinweisen und Gelegenheit zur Nachbesserung geben. Auch hier kann also "Weniger" manchmal "Mehr" sein.

 

RiOLG Dr. Georg Rehbein, Bonn

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