Auch viele "kleine" Pflichtverletzungen berechtigen zur Kündigung!

OLG Dresden, Urteil vom 17.11.2020 - 6 U 349/20 BGB §§ 314, 648a; VOB/B § 8

Problem/Sachverhalt

Die Parteien schließen zwei Bauverträge. Unmittelbar nach Beauftragung treten Meinungsverschiedenheiten auf. Um die Probleme zu lösen, vereinbaren die Parteien im Mai 2006 den Einsatz einer Task Force zur konstruktiven Fortführung. Gleichwohl gelingt es den Parteien nicht, sich zu verständigen. Der Auftraggeber (AG) rügt am 22.02.2007 verschiedene Vertragsverletzungen, fordert den Auftragnehmer (AN) zur Beseitigung bis zum 06.03.2007 auf und droht die Kündigung an. Er stellt aber klar, dass er an der Erfüllung des Vertrags festhalte. Der AN fordert seinerseits mit 24 Schreiben die Vorlage von Ausführungsplänen. Der AG kündigt am 08.03.2007 und begründet dies mit der unterbliebenen Fortschreibung des Detailterminplans, der fehlerhaften Nachunternehmernennung, der unzureichenden Baustellenbesetzung und der fortgesetzten Vertragsuntreue und der daraus resultierenden Zerstörung des Vertrauensverhältnisses.

Entscheidung

Zu Recht! Aus den Gesamtumständen ergibt sich vorliegend ein außerordentlichen Kündigungsrecht des AG. Eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses kann sich aus einer ganzen Reihe von Pflichtverletzungen, die jeweils für sich genommen nicht ausreichend wären, im Rahmen einer Gesamtabwägung ergeben. Es ist zu berücksichtigen, dass eine Task Force eingesetzt wurde und die Parteien gesteigerte Bemühungen an den Tag legen mussten. Demnach konnten auch Vertragspflichtverletzungen von geringerem Gewicht geeignet sein, das vorbelastete Vertrauensverhältnis endgültig zu zerstören. Das Verhalten des AN und die schematischen Einwendungen sind mit den konstruktiven Festlegungen der Task Force nicht vereinbar. Er hat im Gesamtbild den Eindruck einer Blockadehaltung vermittelt und durch sein Gesamtverhalten das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört.

Praxishinweis

Aufgrund der Fristsetzung und der Klarstellung, am Vertrag festzuhalten, hat der AG dokumentiert, dass das Vertrauensverhältnis noch nicht als so zerstört anzusehen ist, dass ihm nicht bis dahin und ohne weitere Gründe die Fortsetzung doch zuzumuten ist (Ingenstau/Korbion/Vygen/Joussen, B § 8 Abs. 3, Rz. 21). Der AN hat die Frist fruchtlos verstreichen lassen und mit seinen 24 destruktiven Schreiben weiter zur Zerstörung des Vertrauens beigetragen. Interessant ist die Frage, ob alle "kleinen Vertragsverletzungen" seit Vertragsschluss bei der Gesamtabwägung berücksichtigt werden oder ob das Vertrauensverhältnis nach einem Zeitablauf ohne Pflichtverletzung wieder vollständig hergestellt ist und eine neue Abwägung anzustellen ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nach § 314 Abs. 3 BGB (i.V.m. § 648a Abs. 3 BGB) innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis vom Kündigungsgrund zu kündigen ist. Wenn schon ein Einzelvorfall, der zur Kündigung berechtigt, nach einer gewissen Frist nicht mehr zur Kündigung herangezogen werden kann, dann auch nicht Einzelvorfälle, die unterhalb dieser Schwelle liegen (Bolz/Jurgeleit/Jahn, ibr-online-Kommentar VOB/B, 10.02.2021, § 8 Rn. 237).

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Maximilian R. Jahn, Frankfurt a.M.