Zum Leistungsverweigerungsrecht des Planers, der für Planungsfehler einzustehen hat

Das neue Bauvertragsrecht regelt in § 650t BGB, dass ein Planer, den der Besteller wegen eines Überwachungsfehlers als Gesamtschuldner in Anspruch nimmt, die Leistung verweigern kann, wenn auch der bauausführende Unternehmer als Gesamtschuldner für den Mangel haftet und der Besteller dem bauausführenden Unternehmer noch nicht erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat. Keine Aussage trifft das Gesetz zu der Frage, ob und inwieweit sich der Planer, der für einen Planungsfehler als Gesamtschuldner einzustehen hat, gegen eine vorrangige Inanspruchnahme durch den Besteller verteidigen kann. Diese „Lücke“ zu schließen, ist das Ziel der folgenden Ausführungen.

I. Die Rechtslage bis zum 31.12.2017

1. Gesamtschuldverhältnis zwischen Planer und bauausführendem Unternehmer

Das Reichsgericht und auch der Bundesgerichtshof vertraten über Jahrzehnte die Auffassung, eine Gesamtschuld setze voraus, dass mehrere Schuldner wenigstens zunächst die gleiche Leistung schulden. Ein Gesamtschuldverhältnis konnte nach dieser Rechtsprechung nur entstehen, wenn die geschuldeten Leistungen den gleichen Inhalt besaßen.3  Daran fehlt es im Verhältnis von Planer zum bauausführende Unternehmer, wenn der Planer auf Schadensersatz und der Unternehmer (nur) auf Mangelbeseitigung haften. Im Jahr 1965 wurde dem Großen Senat des Bundesgerichtshofs die Frage vorgelegt, ob 

"der Architekt, den der Bauherr gemäß dem § 635 BGB  wegen Aufsichtspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, gegen den Bauunternehmer einen Ausgleichsanspruch gemäß dem § 426 BGB  geltend machen kann.“4

Der Große Senat beantwortet die Frage nach der gesamtschuldnerischen Haftung so: „Wie dem auch sei, so ist doch hier das, was Architekt und Bauunternehmer schulden, auch dann nicht etwas gänzlich Verschiedenes, wenn der Architekt Geldersatz zu leisten und der Bauunternehmer nachzubessern hat. […] Die Verpflichtungen des Architekten und des Bauunternehmers stehen sich also bei der vorliegenden Sachlage nicht nur deshalb besonders nahe, weil sie durch eine enge Zweckgemeinschaft verbunden sind, die auf die plangerechte und mangelfreie Errichtung des Bauwerkes gerichtet ist, es wohnt ihnen vielmehr darüber hinaus eine besonders enge Verwandtschaft auch deshalb inne, weil ihre inhaltliche Verschiedenheit hart an der Grenze zur inhaltlichen Gleichheit (Identität) liegt.“5  In der Folgezeit hat der BGH bis zum heutigen Tag unverbrüchlich an seinem Rechtsstandpunkt festgehalten: „Der Architekt und der Unternehmer sind im Umfang ihrer Haftung Gesamtschuldner (BGH, NJW 1965, 1175 [BGH 01.02.1965 - GSZ 1/64] ).“6

Mit der Einführung des § 650t BGB  hat der Gesetzgeber sich dieser Rechtsauffassung uneingeschränkt angeschlossen und sie damit auf Dauer jeglicher weiterer Diskussion entzogen. „Roma locuta, causa finita.“7

2. Das Wahlrecht des Bestellers bei der Inanspruchnahme der Gesamtschuldner

a) Die Ausgangslage

Welche Folgen die gesamtschuldnerische Haftung von Planer und bauausführendem Unternehmer nach sich zieht, soll der folgende Sachverhalt verdeutlichen:

Nach Abnahme der Bauleistungen zeigt sich Feuchtigkeit im Kellerraum. Hierfür sind eine fehlerhafte Planung des Architekten der Lichtschächte und deren bedenkenlose Umsetzung durch den Rohbauer verantwortlich. Der Rohbauunternehmer bietet an, den Mangel, wie vom Sachverständigen vorgeschlagen, durch Verpressen und zusätzliche Abdichtung zu beseitigen. Der Bauherr nimmt jedoch in Ausübung seines Wahlrechts aus § 421 BGB  den Architekten auf Schadensersatz in Anspruch, weil er damit eine Finanzierungslücke schließen kann. Der Architekt verweist ohne Erfolg auf die Nacherfüllungsbereitschaft des Unternehmers.

Nachdem der Architekt den verlangten Schadensersatz an den Bauherrn bezahlt hat, verlangt und erhält der Architekt vom bauausführenden Unternehmer nach § 426 BGB  einen Teil des geleisteten Schadensersatzes zurück. Auch der Bauunternehmer kann sich gegen diesen Anspruch nicht damit verteidigen, dass er zur Nacherfüllung bereit gewesen sei.

Die Rechtsprechung8 löst diesen Fall seit 40 Jahren wie folgt:

Es besteht ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Unternehmer und Architekt. Deshalb kann der Besteller nach § 421 BGB  grundsätzlich frei entscheiden, ob er wegen eines Mangels am Bauwerk den bauausführenden Unternehmer auf Mangelbeseitigung oder den mangelhaft leistenden Architekten auf Geld in Anspruch nimmt. Er hat ein „Wahlrecht“.

b) Die Rechtsprechung zum Wahlrecht nach § 421 BGB  bis zum 31.12.2017

Nach Meinung des BGH verstößt der Besteller regelmäßig nicht gegen seine Obliegenheit zur Schadensminderung, wenn er sogleich vom Architekten Schadensersatz in Geld verlangt, ohne zuvor dem bauausführenden Unternehmer die Chance zur Nacherfüllung einzuräumen.9  Der Besteller müsse bei seiner Entscheidung, gegen welchen Schuldner er vorgeht, lediglich darauf achten, nicht „jede Rücksichtnahme“ vermissen zu lassen.10  Ein solcher Verstoß gegen „jede Rücksichtnahme“ sei anzunehmen, wenn und soweit der Besteller auf einfachere, insbesondere billigere Weise von dem Unternehmer die Beseitigung des Mangels verlangen kann oder wenn er aus missbilligenswerten Motiven die Absicht hat, gerade diesen Schuldner zu belasten.11

„Nur in Ausnahmefällen muss sich der Bauherr zunächst an den Unternehmer halten. In keinem Falle ist es aber dem Besteller zuzumuten, sich nennenswerten Schwierigkeiten bei Durchsetzung seiner Ansprüche gegen den Unternehmer auszusetzen, um den ihm ebenfalls haftenden Architekten zu schonen.“12

Dem Besteller sollen keine „nennenswerten Schwierigkeiten“13  bei der Verfolgung seiner Ansprüche bereitet werden. Die schützenswerten Interessen des Unternehmers, seine „Chance zur zweiten Andienung“ nicht zu verlieren, nimmt der Bundesgerichtshof dagegen nicht in den Blick. Unbeachtet bleibt auch die vom Gesetzgeber ausdrücklich verfolgte Absicht, dass der Besteller im Fall eines Mangels dem Unternehmer zunächst die Möglichkeit einräumen soll, diesen Mangel zu beseitigen, bevor der Besteller einen finanziellen Ausgleich verlangen darf.

Tatsächlich geht es nicht darum, „den ebenfalls haftenden Architekten zu schonen“, sondern den Vorrang der Nacherfüllung zu wahren, der einen tragenden Grundsatz des Gewährleistungsrechts darstellt.

c) Das Verhältnis des „Wahlrechts“ aus § 421 BGB  zur „Chance zur zweiten Andienung“ bis zum 01.01.2018

In den Fällen, in denen sowohl der Planer (wegen eines Planungsfehlers) als auch der bauausführende Unternehmer (wegen bedenkenloser Umsetzung der fehlerhaften Planung) als Gesamtschuldner für einen Baumangel verantwortlich sind, kommt es regelmäßig zu dem – paradoxen – Ergebnis, dass der bauausführende Unternehmer seine Chance zur „zweiten Andienung“ verliert. Er kann den Mangel nicht gegen den Willen des Bestellers, der sein Wahlrecht frei ausüben darf, beheben. Das „Recht zur zweiten Andienung“ des bauausführenden Unternehmers läuft leer. Es besteht allenfalls eine Obliegenheit des Bestellers, seine Rechtsposition nicht zu missbrauchen.14  Paradox ist das Ergebnis deshalb, weil der bauausführende Unternehmer selbst keinen Beitrag geleistet hat, der diese grundlegende Verschlechterung seiner Rechtsposition begründen könnte. Im Gegenteil: Allenfalls verringert sich sein Verantwortungsanteil, wenn nicht nur er, sondern auch noch andere Baubeteiligte für den Mangel einstehen müssen.

Im Gegensatz dazu verbessert sich die Rechtslage für den Besteller erheblich, wenn nicht nur ein, sondern mehrere Baubeteiligte (bauausführender Unternehmer und Architekt) für den Mangel haften.

aa) Vorrang der Nacherfüllung

Missachtet der Besteller seine Obliegenheit, dem Unternehmer eine Chance zur „zweiten Andienung“ einzuräumen, so führt dies dazu, dass der Besteller die Kosten einer verfrühten Mangelbeseitigung selbst zu tragen hat. So stellt das OLG Düsseldorf fest:

„Beseitigt der Auftraggeber einer Werkleistung von ihm behauptete Mängel der Werkleistung selbst, ohne dem Werkunternehmer zuvor eine erforderliche hinreichende Möglichkeit zur etwaig erforderlichen Nacherfüllung gegeben zu haben, ist er mit diesbezüglichen Gewährleistungs- bzw. Ersatzansprüchen aus allen dafür etwaig in Betracht kommenden Rechtsgründen ausgeschlossen.“15

Diese Ausgangslage ändert sich grundlegend, wenn wegen des Mangels nicht einer, sondern mehrere – und zwar als Gesamtschuldner – haften. Kann der Besteller auf mehrere Gesamtschuldner, z.B. Planer und bauausführenden Unternehmer, zugreifen, so steht ihm nach § 421 BGB  das grundsätzlich unbeschränkte Wahlrecht zu, welchen der Gesamtschuldner er vollumfänglich in Anspruch nehmen will. Insbesondere kann der Besteller ohne weiteres vom Planer Schadensersatz in Geld verlangen. Er ist nicht gehalten, dem bauausführenden Unternehmer zuvor die Möglichkeit der Nacherfüllung einzuräumen.16  Die Gewährung eines solchen uneingeschränkten Wahlrechts konterkariert den Willen des Gesetzgebers, zunächst dem Unternehmer die „Chance zur zweiten Andienung“ zu gewähren, bevor der Besteller berechtigt ist, Ersatz seiner Aufwendungen oder Schadensersatz zu fordern.17

bb) (Über-)Bewertung des Wahlrechts aus § 421 BGB

Verantwortlich für das paradoxe Ergebnis, dass der bauausführende Unternehmer die Chance zur Nacherfüllung verliert, sobald ein Planer als Gesamtschuldner für den in Frage stehenden Mangel einzustehen hat, ist das uneingeschränkte Wahlrecht des Bestellers aus § 421 BGB : Die Rechtsprechung gewährt dem Besteller die Freiheit, entweder Nacherfüllung vom bauausführenden Unternehmer oder Schadensersatz vom Planer verlangen zu dürfen, grundsätzlich unabhängig von der Tatsache, ob der für den Mangel ebenfalls verantwortliche bauausführende Unternehmer bereit und in der Lage ist, den Mangel zu beseitigen.

II. Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 650t BGB

1. Zur Vorgeschichte der Gesetzesänderung

Das soeben geschilderte „Ungleichgewicht“18  (BT-Drucks. 18/8486, S. 71) nahm der 5. Baugerichtstag 2014 im Rahmen des Arbeitskreises IV (Architekten- und Ingenieurrecht) zum Anlass, sich mit der Frage zu beschäftigen: „Empfehlen sich gesetzliche Regelungen für das Gesamtschuldverhältnis zwischen Architekt und Bauunternehmer?“ Nach ausführlicher Diskussion verabschiedete der Arbeitskreis einstimmig folgende Resolution:

„Dem Gesetzgeber wird empfohlen, eine Regelung zu treffen, der zufolge der Architekt oder Ingenieur durch einen Besteller erst dann im Rahmen eines Gesamtschuldverhältnis auf Schadensersatz nach §§ 634 Nr. 4 , 281 Abs. 1 BGB  in Anspruch genommen werden kann, wenn der Bauunternehmer zuvor fruchtlos unter Fristsetzung zur Nacherfüllung aufgefordert worden ist.“19

Die Bundesregierung hat diese Empfehlung aufgegriffen und weiterentwickelt. Es wurde nach einem Weg gesucht, die überproportionale Belastung der Planer im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung mit dem bauausführenden Unternehmer zu reduzieren.20  Besteller nähmen bei Mängeln, die sowohl der bauausführende Unternehmer als auch der Architekt oder Ingenieur zu verantworten haben, vorrangig letztere in Anspruch, da wegen der berufsrechtlichen Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung die Realisierung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Architekten und Ingenieuren gesichert sei. Wenn aber der korrespondierende Innenausgleichsanspruch des Planers gegen den bauausführenden Unternehmer nach § 426 BGB  nicht mehr möglich sei, etwa wegen Insolvenz des bauausführenden Unternehmens, führe dies zu einer wirtschaftlich stärkeren Belastung der Architekten und Ingenieure als dies ihrem Beitrag zum Mangel entspreche.21

 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Zum Leistungsverweigerungsrecht des Planers, der für Planungsfehler einzustehen hat erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2018, 1321 - 1337 (Heft 9)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.