Die 2-Millionen-Euro Frage: Was ist die "Nettoauftragssumme"?

OLG Köln, Urteil vom 23.06.2021 - 16 U 10/19; BGH, Beschluss vom 26.04.2023 - VII ZR 770/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 193, 307 Abs. 1 Satz 2

1. Eine Bemessung der Vertragsstrafe nach der "Nettoauftragssumme" ist nicht intransparent, wenn sich aus einer weiteren Regelung zur Vertragserfüllungssicherheit ergibt, dass damit die bei Vertragsschluss vereinbarte Vergütung gemeint ist.
2. Die Unwirksamkeit einer Regelung zur Erhöhung der Vertragsstrafe lässt die Vertragsstrafenregelung im Übrigen unberührt, wenn sie inhaltlich trennbar ist.

OLG Köln, Urteil vom 23.06.2021 - 16 U 10/19; BGH, Beschluss vom 26.04.2023 - VII ZR 770/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

BGB §§ 193307 Abs. 1 Satz 2

 

Problem/Sachverhalt

Ein Generalübernehmer (GÜ) wird für die Erweiterung eines Krankenhauses mit umfangreichen Leistungen betraut (Neubau Behandlungs- und Bettenhaus, Ausstattung, Parkhaus). Der Pauschalfestpreis beträgt 50.411.820 Euro netto. In § 16 (2) GÜ-Vertrag vereinbaren die Parteien eine Vertragsstrafe für die Fertigstellungsfrist. Während der Ausführung kommt es zu einer "Klarstellungsvereinbarung". Das Parkhaus wird (teil-)abgenommen, der Besteller zahlt hierfür eine Vergütung i.H.v. 4.102.199 Euro netto. Später treffen die Parteien noch eine Zusatzvereinbarung. Der GÜ soll wegen einer Leistungsänderung zusätzlich 1.499.507,51 Euro netto erhalten und der Fertigstellungstermin wird auf den 31.03.2012 verschoben. In § 5 (2) der Zusatzvereinbarung wird nochmals eine Regelung zur Vertragsstrafe getroffen, die weitgehend § 16 (2) GÜ-Vertrag entspricht. Sie lautet: "Die M hat für jeden Kalendertag, um den sich die Fertigstellung der jeweiligen Leistungen nach § 3 Abs. 1 d) dieser Vereinbarung aus Gründen, die von der M zu vertreten sind, verzögert, als Vertragsstrafe 0,1% der Nettoauftragssumme an die Kliniken der Stadt X zu zahlen, es sei denn, die M weist nach, dass sie die Verzögerung nicht zu vertreten hat. Weitere 0,1% der Nettoauftragssumme sind als Vertragsstrafe zur Zahlung fällig, wenn nicht 95% der vertraglichen Leistungen termin- und vertragsgerecht fertig gestellt sind. Der Höchstsatz beträgt insgesamt 5% der Nettoauftragssumme." 

Die Fertigstellung verzögert sich um 46 Tage. Der Besteller berechnet eine Vertragsstrafe von 47.740,26 Euro/Tag (0,1% von 47.740.258,51 Euro), insgesamt 2.196.051,96 Euro. Den Nettoauftragswert bemisst er nach dem Pauschalfestpreis (50.411.820 Euro netto) abzüglich der Teilvergütung Parkhaus (4.102.199 Euro netto) zuzüglich der Vergütung aus der Zusatzvereinbarung (1.499.507,51 Euro netto). GÜ und Besteller streiten über die Frage, ob die Vertragsstrafenregelung (bei der es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt) der Inhaltskontrolle standhält.

Entscheidung

Ja! Die Klausel verstößt nicht gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Zwar ist der Begriff "Nettoauftragssumme" mehrdeutig. Er kann die nach Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung, aber auch die vor Ausführung vereinbarte Vergütung meinen. Die Mehrdeutigkeit lässt sich jedoch durch Auslegung überwinden. Im GÜ-Vertrag wird der Begriff der "Nettoauftragssumme" auch bei der vom GÜ geschuldeten Vertragserfüllungsbürgschaft genannt, die binnen eines Monats nach Vertragsschluss zu stellen ist. Mit "Nettoauftragssumme" ist also die bei Vertragsschluss vereinbarte Vergütung gemeint. Ob die Regelung zur Erhöhung der Vertragsstrafe ("Weitere 0,1% der Nettoauftragssumme sind als Vertragsstrafe zur Zahlung fällig, wenn nicht 95% der vertraglichen Leistungen termin- und vertragsgerecht fertig gestellt worden sind.") unbestimmt ist, kann dahinstehen. Nach dem blue-pencil-Test handelt es sich um eine trennbare Regelung. Ihre (etwaige) Unwirksamkeit führt daher nicht dazu, dass auch der Rest der Klausel unwirksam ist.

Praxishinweis

Der vereinbarte Termin zur Fertigstellung am 31.03.2012 war ein Samstag. Gleichwohl ist die Vertragsstrafe auch für den 01.04.2012 (Sonntag) geschuldet. Die Vertragsstrafe fällt für jeden Kalendertag an. § 193 BGB findet keine Anwendung. Zudem ist jeder angebrochene Tag mitzuzählen, mithin auch der 16.05.2012, der Tag der Abnahme.

 

RiOLG Dr. Tobias Rodemann, Ratingen