Besser immer Fristen setzen!

OLG Köln, Beschluss vom 03.02.2021 - 16 U 90/20; BGH, Beschluss vom 26.04.2023 - VII ZR 226/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 242, 633, 634

1. Dem Auftraggeber steht trotz vorhandener Mängel grundsätzlich kein Schadensersatz- bzw. kein Selbstvornahmeanspruch zu, wenn er dem Auftragnehmer keine Frist zu Mängelbeseitigung gesetzt hat und die Frist nicht ausnahmsweise entbehrlich war.
2. Eine Fristsetzung kann in Ausnahmefällen aufgrund ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung seitens des Auftragnehmers, eines begründeten Vertrauensverlust des Auftraggebers in die Zuverlässigkeit und Kompetenz des Auftragnehmers oder sonstiger besonderer Umstände entbehrlich sein.
3. Alle Entbehrlichkeitsgründe haben gemein, dass unter Abwägung der beiderseitigen Interessen und aller sonstigen Umstände des Einzelfalls die sofortige Geltendmachung des Schadensersatz- bzw. Selbstvornahmeanspruchs berechtigt ist.

 

OLG Köln, Beschluss vom 03.02.2021 - 16 U 90/20; BGH, Beschluss vom 26.04.2023 - VII ZR 226/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

BGB §§ 242633634

 

Problem/Sachverhalt

Der Unternehmer (U) war mit der Sanierung der Terrassenanlage des denkmalgeschützten Unesco-Weltkulturerbes, Schloss K, beauftragt. Im Frühjahr 2014 kündigt der Auftraggeber (AG) den mit U geschlossenen Vertrag aufgrund von Mängeln an dessen Werkleistung. Im Juni 2015 macht der AG Fertigstellungsmehrkosten und Ersatzvornahmekosten in Höhe von zunächst insgesamt ca. 87.000 Euro gegenüber dem U geltend. 2017 beauftragt der AG dann einen Privatsachverständigen, der das tatsächliche Ausmaß der Mängel feststellt. 2018 lässt der AG die Mängelbeseitigung durchführen. Eine Frist zur Mängelbeseitigung setzt er U zuvor nicht. Anschließend klagt er Fertigstellungsmehrkosten i.H.v. 47.171,17 Euro und Mängelbeseitigungskosten i.H.v. 693.180,84 Euro ein. Das Landgericht gibt der Klage in Höhe der Fertigstellungmehrkosten statt. Im Übrigen weist es die Klage des AG mit der Begründung einer fehlenden Fristsetzung zur Mängelbeseitigung vor der Durchführung der Ersatzvornahme ab. Der AG geht in Berufung.

 

Entscheidung

Ohne Erfolg! Eine Fristsetzung zur Mängelbeseitigung vor der Durchführung der Selbstvornahme war im vorliegenden Fall unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht entbehrlich. Die Entbehrlichkeitsgründe für eine Fristsetzung habe ihren Ursprung in § 242 BGB. Bei der Beurteilung, ob Entbehrlichkeitsgründe vorliegen, sei daher nicht auf den Zeitpunkt des einseitigen Entschlusses des Bestellers, von einer Mängelbeseitigung durch den Unternehmer abzusehen, abzustellen. Letzteres werde dem Nachbesserungsrecht des Unternehmers nicht gerecht. Maßgeblich zur Beurteilung ob Entbehrlichkeitsgründe vorliegen, sei der Zeitpunkt, zu dem "an sich" die Aufforderung hätte erfolgen müssen (vgl. OLG Köln, IBR 2020,454). Mangels einer zuvor erfolgten Fristsetzung war dies hier der Zeitpunkt der Auftragsvergabe an ein Drittunternehmen im Jahr 2018 und damit vier Jahre nach Beendigung des Vertragsverhältnisses gewesen. Aktuelle Kenntnisse von der Zuverlässigkeit und Kompetenz des U hatte der AG dann aber nicht mehr. Hinzu kommt, dass U das tatsächliche Ausmaß der Mängel vor der Selbstvornahme nicht bekannt gegeben wurde.

 

Praxishinweis

Auch nach der Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund, steht dem Unternehmer grundsätzlich ein Nachbesserungsrecht am bereits erstellten Werk zu. Etwas anderes kann im Einzelfall gelten, wenn die Mängel Grund für die Kündigung waren. Die Entscheidung, ob eine Fristsetzung zur Nachbesserung deshalb tatsächlich entbehrlich ist, bedarf aber immer einer eigenständigen Wertung, bei der es die Interessen des Auftraggebers und des Unternehmers zu berücksichtigen gilt. Um am Ende nicht auf den Kosten "sitzen zu bleiben", sollte dem Unternehmer vor der Durchführung der Selbstvornahme daher (immer) eine Frist zur Beseitigung der Mängel gesetzt werden.

 

RAin und FAin für Bau- und Architektenrecht Dr. Nina Wolber, Staufen

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