Streitbeilegungsverfahren in der Bauwirtschaft

In den Fällen, in denen Baubeteiligte nicht in der Lage sind, ihre Differenzen im Verhandlungswege beizulegen, führt der übliche Weg nach dem Scheitern der Verhandlungen über die Anwälte zu Gericht. Dies, obwohl die an einem Konflikt beteiligten Parteien selbst in einer ex post Betrachtung erkennen, dass sie die Konflikte außergerichtlich schneller und mit weniger Aufwand hätten bewältigen können und sich bei allen Befragungen und Studien eine deutliche Mehrheit sogar für eine zwingende, den staatlichen Gerichten vorgeschaltete außergerichtliche Streitbeilegung ausspricht.

A. Einführung

In den Fällen, in denen Baubeteiligte nicht in der Lage sind, ihre Differenzen im Verhandlungswege beizulegen, führt der übliche Weg nach dem Scheitern der Verhandlungen über die Anwälte zu Gericht. Dies, obwohl die an einem Konflikt beteiligten Parteien selbst in einer ex post Betrachtung erkennen, dass sie die Konflikte außergerichtlich schneller und mit weniger Aufwand hätten bewältigen können und sich bei allen Befragungen und Studien eine deutliche Mehrheit sogar für eine zwingende, den staatlichen Gerichten vorgeschaltete außergerichtliche Streitbeilegung ausspricht. Dennoch findet die außergerichtliche Streitbeilegung in der bauwirtschaftlichen Praxis kaum, d.h. weder bereits in Verträgen angelegt noch ad hoc Anwendung. Die Gründe liegen unter Berücksichtigung der erwähnten Untersuchungen offensichtlich nicht in einer rationalen Vorteils-/Nachteils-Abwägung. Was also sind die Gründe, die eine Anwendung außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren in der Praxis so schwierig machen? Der Versuch einer Erklärung:

B. Hauptgründe für die zurückhaltende Anwendung der Möglichkeiten außergerichtlicher Streitbeilegung

Jedes Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung hat, wie im übrigen auch das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten, seine Stärken und Schwächen, die dazu führen, dass das eine Verfahren stärker, das andere weniger Zuspruch findet. Die individuellen Schwächen der einzelnen Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung sind aber nicht der Hauptgrund dafür, weshalb die außergerichtliche Streitbeilegung in der bauwirtschaftlichen Praxis bislang nur in einem überschaubaren Rahmen Anwendung findet. Die Hauptgründe sollen hier dargestellt werden.

I. Informationsdefizite und fehlende eigene Erfahrungen

1. Fehlendes Wissen und fehlende Praxiserfahrung

Die (vielfältigen) Verfahren und Möglichkeiten der außergerichtlichen Streitbeilegung sind häufig nicht bekannt und die Parteien haben keine (eigenen) praktischen Erfahrungen mit diesen. Während Schiedsgutachten und Schiedsgerichte den meisten noch bekannt sind, fällt die Bekanntheit anderer außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren sehr stark ab. Nachfolgend ein kleiner – nicht abschließender – Überblick über die gängigsten Verfahren:

Außergerichtliche Streitlösung ohne Dritte
Partnering
Interessenorientiertes Verhandeln (Harvard-Konzept)
Außergerichtliche Streitlösung mit nicht entscheidungsbefugten Dritten
Moderation
Mediation
Frühe neutrale Bewertung (early neutral evaluation)
Mini-Trial
Schlichtung
Abgekürztes Gerichts-/Schiedsverfahren (mock litigation/arbitration)
Außergerichtliche Streitlösung mit entscheidungsbefugten Dritten
Entscheidung vorgesetzten Stelle gem. § 18 Abs. 2 VOB/B
Adjudikation/Dispute Board
Schiedsgutachten
Schiedsgericht

Ferner verkennen viele Parteien die wirtschaftlichen Vorzüge einer außergerichtlichen Streitbeilegung. In den meisten Fällen werden nur die mit dem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren verbundenen zusätzlichen Kosten für die Streitlöser und gegebenenfalls die Rechtsanwälte im Falle des Scheiterns des außergerichtlichen Streitbeilegungsversuches angeführt, die man sich doch (gleich) sparen könnte. Die praktischen Erfahrungen zeigen aber im Gegenteil, dass die weit überwiegende Mehrheit der durchgeführten außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren erfolgreich ist, d.h. zur Zufriedenheit beider Parteien enden. Dadurch werden die Kosten eines in der Regel teureren und langen gerichtlichen Verfahrens vermieden, die Konflikte stattdessen innerhalb weniger Wochen oder Monate beigelegt und darüber hinaus auch die internen Kapazitäten bei den Konfliktbeteiligten über weit geringere Zeiträume gebunden. Dies wird jedoch vielfach verdrängt. Selbst aus einem erfolglos durchgeführten außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren ohne Bindungswirkung können die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen helfen, noch vor Anrufung der Gerichte einen außergerichtlichen Vergleich der Parteien herbeizuführen. Dies verdeutlicht, dass den Parteien die Vorzüge, aber auch die unterschiedlichen Instrumente der außergerichtlichen Streitbeilegung nicht bewusst sind.

Aus dem Informationsdefizit und der Unerfahrenheit in Bezug auf die unterschiedlichen Verfahrensarten der außergerichtlichen Streitbeilegung und ihrer Eigenschaften folgen zwangsläufig Unsicherheiten bei der Auswahl des richtigen Verfahrens und damit verknüpft die fehlende Bereitschaft, „Neues“ auszuprobieren. Hinzu kommen durchaus auch Hemmnisse, externe Unterstützung bei der Konfliktbearbeitung im frühen Stadium hinzuziehen, weil dies u.U. als Eingeständnis fehlender Verhandlungsfähigkeit gewertet werden könnte. In der Praxis führt dies nicht selten dazu, dass sich die Parteien, teilweise sogar trotz interner Vorgaben, außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren anzuwenden, lieber in die „sicheren“ Gewässer des Gerichtsprozesses hineinbegeben, dessen formalen Ablauf sie kennen und dessen Risiken sie (vermeintlich) „kalkulieren“ können. Im Ergebnis scheinen folglich nicht die Argumente für und wider einer außergerichtlichen Streitbeilegung im Konfliktfall zu entscheiden. Vielmehr entscheidet die Macht der Gewohnheit infolge fehlenden Wissens sowie fehlender Erfahrungen.


Der vollständige Aufsatz „Zurückhaltende Anwendung außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren in der Bauwirtschaft – Versuch einer Erklärung“ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „baurecht“ (BauR 2016, 20-29 (Heft 1). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.