„Investieren - auch in die eigene Abschaffung“

Sich mit Technologie zu beschäftigen, ist in Juristenkreisen nicht gerade beliebt. Während alle Welt von BioTech, FinTech oder MedTech spricht, hat das Thema Legal Technology, kurz LegalTech in vielen Kanzleien noch Exotenstatus. Das ist möglicherweise fatal, denn „es findet gerade ein Umbruch statt, der massive Auswirkungen auf die Zukunft der Kanzleien haben wird". Das jedenfalls behauptet Strategieberater und Zukunftsexperte Christopher Patrick Peterka, mit dem wir über das (Veränderungs-)Potenzial von LegalTech sprachen. Dabei verrät er uns auch, ab wann Rechtsanwälte ernsthafte Konkurrenz durch Roboter zu erwarten haben.

Herr Peterka, in der Branche der Rechtsdienstleistungen ist LegalTech das Schlagwort der Stunde. Was verbirgt sich dahinter?

In der Tat ist LegalTech gerade sehr angesagt. Dahinter steckt aber deutlich mehr als ein kurzfristiger Trend. Eine festgelegte Definition gibt es noch nicht, da sich die Dinge, die unter dem Begriff zusammengefasst werden, ständig weiterentwickeln. Im Grunde geht es um technologische Instrumente zur Automatisierung von juristischen Dienstleistungen. Man unterscheidet dabei vier Ebenen. Am Anfang stehen einfache Technologien, die beispielsweise Kanzleimanagement, Dokumentenverwaltung, Rechnungsstellung vereinfachen. Die nächste Ebene umfasst Datenbanken, die juristisches Know-how zur Verfügung stellen, gefolgt von komplexeren Anwendungen, die mittels Wenn-Dann-Regelsätzen Standardtexte analysieren und sogar vorformulieren können. Die höchste Stufe dieser Evolution ist von Vokabeln dominiert, die auch in der insgesamt fortschreitenden Digitalisierung bedeutsam sind: Big Data, Machine Learning oder Künstliche Intelligenz. Diese und weitere technologische Ansätze werden die Rechtsfindung revolutionieren.

Welche Veränderungen sind durch LegalTech zu erwarten?

LegalTech beschleunigt Prozesse, weil der Aktenbestand deutlich schneller bearbeitet werden kann, wenn er digital ist. Durch die vielfache Anwendung der Instrumente werden sie auch günstiger. Man spart also Zeit und Geld. Zusätzlich wird das Wissen transparenter, wenn es leichter zugänglich ist. Dadurch wird die klassische Anwalt-Mandant-Hierarchie aufgebrochen, weil der Wissensvorsprung abgebaut wird. Mandanten werden viel schneller nutzbare Ergebnisse bekommen. Außerdem haben Sie Zugang zu neuen Daten. Zusätzlich dazu wird die Vorhersagewahrscheinlichkeit viel genauer werden. Auch Mandanten werden ihre eigenen Prozesse den neuen Umständen anpassen müssen – und brauchen dazu die Beratung ihres Anwalts.

Welche Bereiche und Arbeitsabläufe einer Kanzlei sind besonders betroffen?

Ich gehe davon aus, dass die Vertragsgestaltung zukünftig stark automatisiert werden wird. Aufgabe der Anwälte wird es sein, Feinheiten und Besonderheiten zu ergänzen. Auch die Beratung wird sich zunehmend auf die Empfehlung von Technologien verlegen. Da Maschinen klar umrissene Fragestellungen durch Algorithmen viel schneller erledigen können, wird der Anwalt sich auf die Bewertung der maschinell erbrachten Ergebnisse und Szenarien konzentrieren und auf Basis dessen eine Strategie entwickeln. Leider ist dadurch ein massiver Verfall der Honorare im Associate und Junior Partnerbereich zu erwarten.

In welchen Zeiträumen müssen wir denken? Wo sehen Sie die Branche in fünf Jahren? Wo in 10 Jahren?

In fünf Jahren werden alle Kanzleien digitalisiert und papierlos sein. Die Nische der Kanzleien, die tatsächlich noch auf Papierakten bestehen, wird verschwindend klein sein. In zehn Jahren wird sich der Kanzleimarkt radikal verändert haben. Gewinner werden die technologiekompetenten Häuser sein. Das sind dann entweder die alten Marktteilnehmer, die sich angepasst haben, oder komplett Neue. In den USA gibt es heute bereits mehr als 100 Unternehmen, die hochspezialisierte und automatisierte Rechtsdienstleistungen anbieten. Hier stehen wir in Deutschland noch am Anfang, aber in zehn Jahren kann und wird sich viel ändern.

Werden Anwälte bald durch Roboter ersetzt werden?

Nein, sicher nicht (lacht). Der ‚Trusted Advisor‘ wird wichtiger denn je – solange er sich die geforderte Technologiekompetenz aneignet. Der Standard-Anwalt, der sich dieser Weiterbildung verweigert, wird durch Maschinensysteme ersetzt werden, die zur Interaktion zwischen Mensch und System mittels natürlicher Sprache in der Lage sind. Die Aufgabe des Juristen wird es sein, als Qualitätsprüfer zu fungieren. Wahrscheinlich wird der Gesetzgeber das verlangen. Damit ein Anwalt das leisten kann, braucht er die technologische Kompetenz, die Ergebnisse der Informationssysteme auswerten zu können.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Kanzleien?

Davon gibt es viele. Zunächst ist der Bereich LegalTech durch die klassische juristische Ausbildung nicht abgedeckt. Hinzukommen etablierte Managing Partner, die kein Interesse an der Technologie haben. Der Mittelbau ist oft überlastet und hat keine Ressourcen, sich mit Technologien zu befassen, die auf den ersten Blick keine Gewinne bringen. Die Umstellung auf LegalTech ist mit einem essentiellen Anpassungsprozess verbunden, der aufwändig ist und somit die wohl größte Herausforderung darstellt. Dennoch empfehle ich dringend, sich darauf einzulassen.

Wie können Kanzleien die Herausforderungen meistern?

Das ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Der wichtigste ist die Bereitschaft, umzudenken und sich auf neue Technologien einzulassen. Mit dem Einkauf von Technologie ist es nicht getan, sie muss mit weiteren Arbeitsabläufen verzahnt werden. Das kann nur in einem iterativen Prozess geschehen, wie er bei der Entwicklung digitaler Anwendungen üblich ist. Es gilt das Prinzip ‚Trial & Error‘. Das ist ein aufwändiger aber unumgänglicher Prozess. Dafür müssen Kanzleien Ressourcen zur Verfügung stellen und mit Kompetenzen ausstatten. Als Schnittstelle zu externen Legal Tech-Anbietern  müssen sie in der Lage sein, kritische Fragen zu stellen und die Entwicklung eigener Lösungen voranzutreiben.

Das klingt nach einem Kraftakt, den nur große Kanzleien schaffen können. Was raten Sie kleinen und mittelständischen Kanzleien?

LegalTech wirkt auf ersten Blick tatsächlich wie ein Thema für große Kanzleien. Dort sind entsprechende Ressourcen vorhanden. Kleinere Kanzleien, auch bei Interesse am Thema, stehen vor einem Dilemma: Soll ich den Markt erforschen, mir Lösungen ansehen, sie installieren und Zeit aufwenden, die Anwendung zu verstehen und Leute zu trainieren, wenn ich dadurch weniger Zeit für abrechenbare Stunden habe? Eine schwierige Frage, die jedoch nicht mit einer Grundsatzentscheidung zwischen Investition in Zukunft und Umsatzmaximierung im Hier und Jetzt beantwortet werden sollte. Vielmehr rate ich kleinen und mittleren Kanzleien zu einer angemessenen strategischen Vorgehensweise. Eine Leitfrage könnte sein: Was sind die größten Zeitfresser im laufenden Betrieb und welche Tech-Lösungen gibt es, um damit besser umzugehen. Die nächste Frage ist, welche Leistungen durch Technologie verbessert werden können. In Großbritannien gehen immer mehr kleinere Kanzleien Vertragsprüfungen technologisch an. Grundsätzlich haben kleine und mittlere Kanzleien einen Vorteil gegenüber den Großen: Sie sind flexibler und schneller. Es gibt weniger administrative Hürden, Prozesse können einfacher radikal umgestellt werden. Wenn dann noch der richtige Tech-Partner vorhanden ist, können kleinere Kanzleien höhere Innovationsgeschwindigkeit entfalten als Große.

Wie sehen Sie das Thema LegalTech im Zusammenhang mit Bau- oder Immobilienrecht?

Daten- und regelreiche Domänen wie das Bau- und Immobilienrecht können stark von LegalTech profitieren. In kaum einem Rechtsgebiet müssen so viele Informationen verarbeitet werden. Beste Voraussetzungen also, um sich durch Technologie effektiv unterstützt zu lassen. Ganz grundlegend kann es darum gehen, Struktur in die wachsende Datenflut zu bringen, die allen Marktteilnehmern zur Verfügung steht. Das beginnt mit klassischen Daten wie Flurkarten, Liegenschaftsauszügen, Baulastenauszügen, Angaben zu Altlasten, Bodenrichtwerten  und vieles mehr. Das geht in naher Zukunft weiter mit baurechtlichen Szenarien als integrativer Bestandteil des Building Information Modeling, kurz BIM. Ein anderes Beispiel sind die im Zuge der Due Diligence nötigen Prüfungen der Rahmenbedingungen in öffentlich-rechtlicher, sachenrechtlicher, mietrechtlicher und häufig auch bewirtschaftungsrechtlicher Hinsicht sowie gegebenenfalls auch die steuerrechtliche, gesellschaftsrechtliche und arbeitsrechtliche Bewertung. Und auch die komplexen Beratungen im Zusammenhang mit Vertragsformen und deren Abwicklung eignen sich sehr gut, um technologisch unterstützt zu werden. Wichtig ist aus meiner Sicht das Interesse. Das sollte in jeder Kanzlei vorhanden sein, unabhängig von ihrer Größe. Nun muss nicht jeder Anwalt zum Technologieexperten werden. Aber wer sich dem verschließt, der setzt sein Geschäftsmodell einem erheblichen Zukunftsrisiko aus und riskiert sehenden Auges Marktanteile.

Herr Peterka, wir danken Ihnen für das Gespräch!