61. ARGE Baurechtstagung

Nachbericht zur 61. Baurechtstagung: Zechen mal ganz anders!

Am 3. und 4. März 2023 wurde im UNESCO-Welterbe Zollverein gezecht – aber nicht etwa mit alkoholischen Getränken (zumindest nicht bei Tage). Vielmehr kippten sich Fachinteressierte und das Who’s who bei schmetternden Reden die aktuellen Themen rund um das Baurecht hinter die Binde.

Da es sich auf leerem Magen bekanntlich schlecht schlafen und noch schlechter denken lässt, startete die 61. ARGE Baurechtstagung mit einem wörtlich zu verstehenden „Grundlagenfrühstück“, sponsored by Wolters Kluwer: Beim entspannten Get-together gab es neben dem für die meisten Juristen unverzichtbaren aufgebrühtem schwarzen Gold auch Häppchen, die eine perfekte Grundlage für alles inhaltlich Folgende waren.

Anschließend konnte die Grundlagenveranstaltung beginnen, die sich traditionsgemäß den jungen Baurechtsinteressieren unter uns widmete. Ein Blick auf deren wachsende Teilnehmerzahl und auf den damit einhergehenden sinkenden Altersdurchschnitt der Gesamtveranstaltung zeigt, dass die Nachwuchsansprache Früchte trägt. Vor allem durch das Engagement der Arbeitsgruppe junge Baurechtler:innen hat die Grundlagenveranstaltung ihren feste Platz bei den Tagungen eingenommen. Wie immer, wurden auch dieses Frühjahr fünf All-inclusive-Tagungspakete an Studierende verlost, die zwei Tage lang wohltemperierte Baurechtsluft schnuppern konnten.

Reichlich gestärkt durch das Grundlagenfrühstück nahm Liane Allmann also unseren Nachwuchs mit auf eine Reise durch die LinkedIn-Welt. Mit ihrem Vortrag: „Personal Branding – Warum Sichtbarkeit Sinn ergibt“ räumte sie mit viel Witz und Humor die Vorurteile gegenüber LinkedIn aus und zeigte, welches Potenzial gerade für Rechtsanwält:innen, aber auch für Kanzleien in der Networking-Plattform steckt. Es überrascht wenig, dass in der anschließenden kurzen Pause viele Teilnehmenden ihr Smartphone zückten, die LinkedIn-App aus dem Winterschlaf weckten und fleißig Kontaktanfragen verschickten.

Das Fachprogramm eröffnete Rechtsanwältin Dr. Birgit Franz als Vorsitzende der ARGE Baurecht und begrüßte die langjährigen „Baurechtsprofessoren“ genauso gern, wie die neuen Gesichter. Natürlich durften ein paar Worte zu der Besonderheit des Tagungsortes nicht fehlen, tummelten sich zwischen den Reihen qua Spezialisierung genügend technisch Interessierte.

Bei einer imaginären kulinarischen Weinprobe leiteten Rechtsanwalt Prof. Thomas Thierau und Rechtsanwältin Cornelia Finster mit juristischer Finesse und Witz durch das eher trocken anmutende Thema der Preisgleitklauseln. Ihr Vortrag „Preisgleitklauseln – am Beispiel der Stoffpreisgleitklausel des Bundes“ schmeckte dank dem exerzierten Beispiel an der Stoffpreisklausel des Bundes auch Teilnehmenden, die eher lieblichen Wein bevorzugen. Man kann sagen, was man möchte – hier wurde reiner Wein eingeschenkt!

Auf die Weinprobe folgte sogleich der nicht weniger interessante Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Hans-Egon Pause zu dem Thema „Die Auswirkungen der WEG-Novelle 2020 auf das private Baurecht unter Berücksichtigung des BGH-Urteils vom 11. November 2022“. Hier zeigte Herr Dr. Pause, dass sich durch die WEG-Novelle 2020 zwar vieles geändert hat, aber so manches doch beim Alten geblieben ist.

Nach der zweiten Runde aufgebrühtem Gold, süßen Stückchen oder deftigen Häppchen (für die meisten das Komplettprogramm) referierte Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas Koenen mit einem eindringlichen Vortrag zum Thema „Grenzüberschreitungen- Die Tätigkeit des Bausachverständigen im Spannungsfeld zwischen Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit“. Er forderte dazu auf, die in der Realität oftmals bestehende „Blackbox“ des Erkenntnisprozesses rund um den Sachverständigenbeweis durch gründliches Hinterfragen des Sachverständigengutachtens in eine „Clearbox“ zu verwandeln: Der Job eines jeden Baurechtsanwalts und einer jeden Baurechtsanwältin sei es, an dieser Transparenz mitzuwirken und die Verfassungswirklichkeit zu hüten. Denn wie der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 1955 feststellte, werden Ergebnisse des Sachverständigengutachtens oftmals unhinterfragt übernommen, ohne dass der Richter in der Sache, wie von der Verfassung gefordert, selbst entscheide.

Den Abschluss des ersten Tages machte Prof. Dipl.-Ing. Annette Hillebrandt mit ihrem Vortrag zum Thema „EEG und Klimaneutralität“. Hierbei zeigte sie anschaulich auf, dass der Bausektor – so abwechslungsreiche Arbeit er allen Teilnehmenden ermöglicht – in puncto „Nachhaltigkeit“ zur Erreichung der Klimaziele (noch) fortschrittlicher werden muss. „Schön, praktikabel und haltbar“ reicht eben nicht mehr. De lege ferenda – vor allem in welchem Umfang – ist der Appell an die Politik.

Dieses politische Statement lieferte neben den anderen inhaltlichen Vorträgen des Tages den perfekten Einstieg für die Abendveranstaltung im Casino Zollverein. Begleitet von einem exzellenten Buffet und einer Getränkeauswahl, die keine Wünsche offenließ, wurde gefachsimpelt, gelacht und Ideen für neue Projekte gesponnen – ganz nach dem Motto: Stillstand ist Rückschritt.

Nach einem ausgiebigen Frühstück im Hotel ging es am nächsten Morgen mit dem Shuttleservice zurück zum UNESCO-Welterbe Zollverein, wo Herr Claus Halfmeier, Richter am Bundesgerichtshof mit der aktuellen Rechtsprechung betreffend das Bau- und Architektenrecht aufwartete. Substantiiert, schlüssig und plausibel referierte er hierzu. Er freute sich, dass auch der Bundesgerichtshof endlich einmal etwas zum neuen Recht sagen durfte und stand Interessierten am Ende der Rede Frage und Antwort.

Den zweiten Vortrag des Tages lieferte Rechtsanwalt Dr. Andreas Berger und beleuchtete den „sog. Stufenvertrag im Architekten- und Ingenieurrecht“ in all seinen Facetten. Hierbei ging es insbesondere um die Frage, ob die einzelnen zu beauftragenden Stufen separate Einzelverträge oder eine Vertragserweiterung darstellten. Er zeigte auf, dass diese Frage nicht einfach zu beantworten ist und auch einige Konsequenzen in der Vertragsabwicklung nach sich ziehen kann.  

Zum Abschluss referierte Frau Dr. Barbara Kretschmer, Vorsitzende Richterin am Landesgericht Essen zu den „Anforderungen an substantiiertes Vorbringen und Bestreiten im Bauprozess“. Als eigentliche Basics des Zivilprozesses liefert dieses Thema in der Praxis immer wieder genügend Zündstoff. Als Richterin stehe man immer im Spannungsfeld zwischen der Verletzung rechtlichen Gehörs einerseits und der Verletzung des Beibringungsgrundsatzes andererseits. Nach Auffrischung der Anforderungen, wie ein substantiierter Parteivortrag und ein inhaltlich ausreichendes Bestreiten auszusehen habe, endete Frau Dr. Kretschmer mit einem allseits geliebten wie auch gefürchteten Spruch: „Auf hoher See und vor Gericht sind wir alle in Gottes Hand“. Das Vortragsfinale kam natürlich nicht ohne einen kurzen Werbeslogan für die neu errichtete Kammer am Landgericht Essen im Bereich Erneuerbare Energien aus. Personal Branding macht eben auch in der Justiz Sinn – auch zum Vorteil der Parteien.

Nach diesen zwei ereignisreichen Tagen kann die 62. Baurechtstagung am 17. und 18. November 2023 in München kommen.

Marie-Christin Lehmann

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Jessica Huber

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62. Baurechtsagung am 17. und 18. November 2023

in München, Sofitel Munich Bayerpost