Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Bauvertrags- und Architektenrecht im Jahr 2021

Die Verfasser geben mit diesem Beitrag einen Überblick über zentrale Entscheidungen – insbesondere des VII. Zivilsenats – des Bundesgerichtshofs zum Bauvertrags- und Architektenrecht – einschließlich des Verfahrensrechts – im Jahr 2021. Der Beitrag schließt an die letztjährige Rechtsprechungsübersicht (BauR 2021, 759 ff.) an.

A. Bauvertragsrecht

I. Vergütung

 

1. Zur Einheitspreisanpassung bei Mengenminderung nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B

Mit Urteil vom 10.06.2021 hat sich der Senat zur Anpassung des Einheitspreises nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B  geäußert.

Die Klägerin war von der Beklagten mit Rodungsarbeiten beauftragt worden. Das Leistungsverzeichnis wies für zu rodende Bäume einen Mengenansatz von 4.500 auf. Die Klägerin war ebenfalls für die Verwertung des Räumguts zuständig; daraus resultierende Erlöse durfte sie einbehalten.  Das Preisangebot der Klägerin enthielt ausweislich der Urkalkulation für beide Positionen jeweils eine Gutschrift, die von dem von der Klägerin kalkulierten Einheitspreis, bestehend aus den Einzelkosten der Teilleistung einschließlich Zuschlägen für Baustellengemeinkosten, Allgemeine Geschäftskosten und Gewinn, abgezogen wurde. Die Gutschrift speiste sich aus dem Verwertungserlös, den die Klägerin erwartete.  Da auf dem zu rodenden Flurstück nur 1.237 Bäume standen, verlangte die Klägerin eine Anpassung des Einheitspreises, die insbesondere einen Ausgleich für entgangenen Verwertungserlös beinhaltete. Die Beklagte lehnte die Zahlung eines insoweit erhöhten Einheitspreises ab.

Der Senat hat entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Anpassung der Vergütung nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B  hat. Bezugsgröße für den wegen Mindermengen anzupassenden Einheitspreis ist ausweislich des Wortlauts von § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B  der ursprüngliche Einheitspreis. Hieraus folgt, dass Faktoren, die nicht Bestandteil des ursprünglichen Einheitspreises sind, bei dessen Anpassung unberücksichtigt bleiben.  Da die mit der Verwertung verbundene Erlöserwartung nicht Bestandteil des kalkulierten Einheitspreises und damit des Äquivalenzverhältnisses war, musste sie bei der Preisanpassung nicht berücksichtigt werden.  An dieser Bewertung ändert sich weder etwas durch die erfolgte Offenlegung der Urkalkulation gegenüber der Beklagten noch durch die Einbeziehung der Gutschrift in die Kalkulation des Einheitspreises. Durch die Offenlegung wurde die Erlöserwartung der Klägerin nicht zur Gegenleistung für die von ihr zu erbringenden Leistungen.

Einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1  und 2 BGB  hat der Senat ebenfalls abgelehnt. Grundsätzlich kommt ein Rückgriff auf § 313 BGB  nicht in Betracht, soweit eine vertragliche Regelung wie § 2 Abs. 3 VOB/B  vorhanden ist, die eine abschließende Regelung für Über- und Unterschreitungen von Mengenansätzen enthält. Besondere Umstände, die ausnahmsweise gleichwohl die Anwendung von § 313 BGB  gestatten könnten, hat der Senat nicht erkannt.

 

2. Ergänzende Vertragsauslegung in einem „Bauträgerfall“ bei etwaig fehlerhafter Beurteilung der Frage der Festsetzungsverjährung durch den Fiskus

In seinem Urteil vom 14.10.2021  hatte der Senat in einem sogenannten „Bauträgerfall“ darüber zu befinden, welche Auswirkungen es auf den Zahlungsanspruch des Bauunternehmers gegen den Bauträger hat, wenn das Finanzamt den Bauunternehmer steuerlich in Anspruch nimmt, obwohl die Frist zur Festsetzung der Umsatzsteuer gegen diesen bereits abgelaufen ist.

Der Senat hat zunächst bekräftigt, an seiner bisherigen Rechtsprechung  festzuhalten, wonach dem leistenden Bauunternehmer auf Grund einer ergänzenden Vertragsauslegung ein Anspruch auf Zahlung von Restwerklohn in Höhe des Umsatzsteuerbetrags gegen den Bauträger zusteht, wenn der Bauvertrag vor Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22.08.2013  abgeschlossen wurde, beide Vertragsparteien übereinstimmend von der Steuerschuldnerschaft des Bauträgers gem. § 13b UStG  a.F. ausgegangen sind, der Bauträger die auf die erbrachten Leistungen des Bauunternehmers entfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt hat und wegen eines Erstattungsverlangens des Bauträgers für den Bauunternehmer nunmehr die Gefahr entsteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner gem. § 27 Abs. 19 UStG  die Umsatzsteuer abführen zu müssen.

Dieses Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung wird – wie der Senat nunmehr klargestellt und im Einzelnen begründet hat – nicht dadurch beeinflusst, dass das Finanzamt unter etwaig fehlerhafter Beurteilung der Rechtslage zur Festsetzungsverjährung den Bauunternehmer als Steuerschuldner heranzieht.

Der Senat ist in der Entscheidung ferner der Frage nachgegangen, ob die Inanspruchnahme des Bauträgers durch den Fiskus aus abgetretenem Recht des Bauunternehmers rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB ) sein kann, wenn das Finanzamt den Bauunternehmer trotz eingetretener Festsetzungsverjährung als Steuerschuldner herangezogen und zur Abtretung des Anspruchs veranlasst hat. Diese Frage hat er dahin beantwortet, dass auch die Ausübung eines abgetretenen Rechts gerade durch den Abtretungsempfänger rechtsmissbräuchlich gem. § 242 BGB  sein kann, wenn in der Geltendmachung eine Verletzung von Treu und Glauben liegt ; ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (im Streitfall verneint).

II. Haftung

1. Deliktische Haftung für Baufehler

In seinem Urteil vom 23.02.2021  hat der u.a. für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat zu dem Umfang der deliktischen Haftung eines Bauunternehmers wegen fehlerhafter Werkleistung bei Errichtung eines Gebäudes Stellung genommen. Diese Fragestellung kann für die Parteien eines Bauvertrags erhebliche Relevanz erlangen, wenn vertragliche Mängelansprüche des Bestellers gegen den Unternehmer verjährt sind. Denn der Beginn der Verjährung und die Verjährungshöchstfristen deliktischer Ansprüche richten sich nach § 199 BGB .

Der VI. Zivilsenat hat zunächst betont, dass der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit langem anerkannte Grundsatz, wonach die Deliktsordnung von der Vertragsordnung nicht verdrängt wird und grundsätzlich jede Haftung ihren eigenen Regeln folgt, auch für die Errichtung eines Gebäudes gilt. Weiter hat der VI. Zivilsenat unter Verweis auf die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung die Schutzrichtung deliktischer Verkehrspflichten in Erinnerung gerufen, die für die Beurteilung des Umfangs der deliktischen Haftung von Bedeutung ist: Deliktische Schutzpflichten zielen – anders als vertragliche Gewährleistungspflichten – nicht darauf ab, die auf den Erwerb einer mangelfreien Sache gerichteten Vertragserwartungen (Nutzungs- und Äquivalenzinteresse) zu schützen, sondern sind auf Wahrung des Interesses gerichtet, das der Rechtsverkehr daran hat, durch eine in den Verkehr gegebene Sache nicht in Eigentum oder Besitz verletzt zu werden (Integritätsinteresse).  Ausgehend hiervon besteht – wie der VI. Zivilsenat dargelegt hat – für eine deliktische Haftung kein Raum, wenn sich der geltend gemachte Schaden mit dem Unwert deckt, der einer Sache wegen ihrer Mangelhaftigkeit von Anfang an schon bei ihrem Erwerb anhaftet; wo dagegen der Schaden nicht mit der im Mangel verkörperten Entwertung der Sache für das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse „stoffgleich“ ist, kann das Integritätsinteresse verletzt sein und eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB  infrage kommen.

Das Merkmal der „Stoffgleichheit“ von Schaden und anfänglichem Mangel ist – wie der VI. Zivilsenat präzisiert hat – erfüllt, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise der Fehler von Anfang an die Gesamtsache, für deren Beeinträchtigung Ersatz begehrt wird, ergreift, etwa weil die Sache als Ganzes wegen des Mangels von vornherein nicht oder nur in sehr eingeschränktem Maße zum vorgesehenen Zweck verwendbar war.  Dementsprechend kann ein Bauunternehmer für „nicht stoffgleiche“ Schäden an Bauteilen deliktisch haften, wenn diese auf seine mangelhafte Werkleistung zurückzuführen sind (im Streitfall: Feuchtigkeitsschäden an Wänden, Fußböden und der Bodenplatte infolge nicht ordnungsgemäß montierter bzw. abgedichteter Leitungshähne).

Bedeutsam ist auch die Auseinandersetzung des VI. Zivilsenats mit Ausführungen des VII. Zivilsenats in seinem Urteil vom 27.01.2005.  Der VII. Zivilsenat hatte in der damaligen Entscheidung ausgeführt, dass in Fällen, in denen ein Schaden infolge einer vertraglichen Leistung eines Bauunternehmers oder Architekten am Bauwerk entstehe, kein Anspruch des Bestellers aus § 823 Abs. 1 BGB  bestehe, wenn dieser Schaden sich mit dem Mangelunwert der vertraglichen Leistung decke, und dies auch dann gelte, wenn die vertragliche Leistung den Schutz des beschädigten Bauteils bezwecke.  Diese Erwägungen hatte in dem von dem VI. Zivilsenat entschiedenen Streitfall der beklagte Handwerker für sich ins Feld geführt und argumentiert, seine Leistungen (mangelhafte Montage/Abdichtung von Leitungshähnen) hätten auch dem Schutz der beschädigten Bauteile (Böden/Wände/Bodenplatte) gedient, weswegen er nicht deliktisch hafte. Dem ist der VI. Zivilsenat nicht gefolgt. Er hat ausgeführt, das Urteil des VII. Zivilsenats könne nicht so verstanden werden, dass eine vertragliche Leistung immer schon dann zumindest auch den Schutz eines anderen Bauteils bezwecke, wenn es bei nicht vertragsgemäßer Leistung beschädigt würde oder werden könnte.

 

Richter*innen am LG Rebecca Schlimbach, Rüdiger Moll, Dr. Tobias Friedhoff und Marcel Kremer 

 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Bauvertrags- und Architektenrecht im Jahr 2021" von Rebecca Schlimbach, Rüdiger Moll, Dr. Tobias Friedhoff und Marcel Kremer erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2022, 698 - 707 (Heft 5). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.