Der Verjährungsbeginn bei verzugsbedingten Ansprüchen - Teil 1

Es ist größeren Bauvorhaben fast schon immanent, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der vertraglich vorgesehenen Zeit umgesetzt werden können. Verzugsbedingte Ansprüche des Bestellers ebenso wie des Auftragnehmers spielen daher bei der Abwicklung von Bau- und Planerverträgen eine bedeutende Rolle.

Eintretende Verzögerungen können für den Bauherrn, aber auch für den Auftragnehmer mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden sein, weshalb bauzeitbezogene Ansprüche nicht selten die Nachtrags- bzw. Haftungsansprüche mit dem größten finanziellen Volumen sind. Gleichzeitig werden ihre Geltendmachung und Durchsetzung aber oft auf die lange Bank geschoben, da eine schlüssige und substantiierte Aufbereitung dieser Ansprüche meist aufwändig ist und die Feststellung der endgültigen Verzugsfolgen zudem erst in einer Ex-Post-Betrachtung des Bauvorhabens möglich erscheint.

Dieser Befund legt es nahe, einer möglichen Verjährung verzugsbedingter Ansprüche erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Tatsächlich aber ist in der Praxis gerade umgekehrt vielfach ein sorgloser Umgang mit der Verjährungsfrage zu beobachten. Hiermit korrespondiert, dass auch die Literatur die Verjährung verzugsbedingter Ansprüche, wenn überhaupt, meist nur oberflächlich und unreflektiert behandelt. Das ist umso unverständlicher, als insbesondere die Frage des Verjährungsbeginns bei verzugsbedingten Ansprüchen aufgrund einiger Besonderheiten keineswegs selbstverständlich beantwortet werden kann und auch noch nicht Gegenstand einer vertieften Auseinandersetzung in der Rechtsprechung war.

Der vorliegende Beitrag entwickelt eine systematische Lösung für den Verjährungsbeginn bei verzugsbedingten Ansprüchen. Auf dieser Grundlage wird in einem Folgeaufsatz die Verjährung der einzelnen verzugsbedingten Ansprüche des Auftraggebers ebenso wie des Auftragnehmers im BGB- und VOB/B-Vertrag dargestellt.

I. Grundlagen zum Verjährungsbeginn

Für die einschlägigen verzugsbedingten Ansprüche gilt die Regelverjährung gem. §§ 195 , 199 BGB . Nach § 199 BGB  beginnt die dreijährige Regelverjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

1. Anspruchsentstehung

Ein Anspruch ist entstanden, sobald der Gläubiger die Leistung fordern und klageweise durchsetzen kann. Das ist grundsätzlich mit Fälligkeit der Leistungspflicht gem. § 271 BGB  gegeben.

Für die Entstehung eines Geldanspruchs ist es i.S.v. § 199 BGB  nicht erforderlich, dass der Zahlungsanspruch bereits – zumindest teilweise – beziffert werden und damit Gegenstand einer Leistungsklage sein kann. Es genügt vielmehr, wenn eine Feststellungs- oder Stufenklage erhoben werden kann. Die Möglichkeit einer Feststellungsklage kann unter Umständen auch schon vor Fälligkeit der Leistung zum Verjährungsbeginn führen. Umgekehrt soll sie den Verjährungsbeginn aber auch nicht vorverlagern, weshalb nicht immer dann, wenn eine Feststellungsklage möglich ist, auch schon der Anspruch als entstanden anzusehen ist. So ist insbesondere eine bloße Vermögensgefährdung verjährungsrechtlich ohne Bedeutung; die Anspruchsentstehung setzt bei Geldansprüchen den Eintritt einer ersten Vermögenseinbuße voraus, die Vermögenslage muss sich objektiv tatsächlich verschlechtert haben.

Nach dem nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung geltenden Grundsatz der Schadenseinheit ist der infolge eines bestimmten einheitlichen Verhaltens des Schädigers eingetretene Schaden grundsätzlich als ein einheitliches Ganzes aufzufassen, so dass für den Anspruch auf Ersatz dieses Schadens einschließlich aller weiteren adäquat-kausal zurechenbaren Nachteile eine einheitliche Verjährungsfrist läuft, sobald irgendein erster (Teil-) Schaden entstanden ist. Von der Schadenseinheit nicht mehr umfasst sind später auftretende Schadensfolgen allerdings dann, wenn mit ihnen beim Auftreten des ersten Schadens nicht gerechnet werden konnte.


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2. Gläubigerkenntnis

Neben der Anspruchsentstehung ist für den Verjährungsbeginn auch die Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen sowie vom Schuldner erforderlich. Der Gläubiger muss folglich alle für eine klageweise Durchsetzung erforderlichen Tatsachen kennen.12

Die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis des Gläubigers dürfte bei verzugsbedingten Ansprüchen häufig schon mit der Verwirklichung des Tatbestandes des Verzuges gegeben sein. In komplexeren Fällen kann die Kenntnis aber insbesondere wegen einer Unklarheit bzgl. der Verantwortlichkeit für den Verzug, also im Hinblick auf den Schuldner, auch erst später eintreten.

3. Zumutbarkeit der gerichtlichen Geltendmachung

Eine weitere, ungeschriebene Voraussetzung für den Verjährungsbeginn besteht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Zumutbarkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs. Unzumutbar in diesem Sinne ist eine Klageerhebung bei unsicherer und zweifelhafter Rechtslage, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag.13  Das wiederum soll insbesondere dann der Fall sein, wenn der Durchsetzung des Anspruchs eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht,14  nicht aber, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist.15

Danach wird man sich wegen der ungeklärten Frage des Verjährungsbeginns bei verzugsbedingten Ansprüchen nicht auf die Unzumutbarkeit einer gerichtlichen Geltendmachung berufen können. Abgesehen davon, dass hier nicht die Berechtigung eines Anspruchs selbst unsicher ist, sondern nur der Beginn seiner Verjährung, dem mit einer frühzeitigen Klageerhebung risikolos begegnet werden kann, gibt es zur Frage des Verjährungsbeginns bei verzugsbedingten Ansprüchen auch keine höchstrichterliche Entscheidung geschweige denn einen ernsthaften Meinungsstreit hierzu in Rechtsprechung und Literatur. Nach allem ist der Anspruchsinhaber (und sein Anwalt bzw. seine Anwältin) angesichts der bekannten Unklarheit gerade gehalten, vorsorglich von einem frühen Verjährungsbeginn auszugehen und diesen hemmende Maßnahmen einzuleiten.

 

von Rechtsanwalt Martin Steiner, Berlin


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz "Der Verjährungsbeginn bei verzugsbedingten Ansprüchen" von Rechtsanwalt Martin Steiner erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2021, 1521 - 1533 (Heft 10)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.