Lösungsvorschlag zur Nachtragspreisermittlung nach § 2 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B

Dipl. Ing. Andreas Wernthaler stellt sich in seinem Aufsatz der Herausforderung, eine für die Baupraxis sachgerechte Berechnungsmethode zu entwickeln, nach welcher neue Preise für alle Art von Ansprüchen aus § 2 Abs. 3 Nr. 2,6 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B ganz im Sinne der Aufrechterhaltung des Äquivalenzverhältnisses berechnet werden können, die weder die eine noch die andere Seite bevorteilen.

I Einleitung/Problemaufriss

Kerngedanke der auf einen fairen Interessenausgleich gerichteten VOB/B ist es, weder den Auftragnehmer (AN) noch den Auftraggeber (AG) wegen Mengenänderungen über 10 %, geänderten oder zusätzlichen Leistungen besser oder schlechter zu stellen. In der Fachliteratur wurden schon viele Versuche unternommen, wegen der Schwächen der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung („Guter Preis bleibt guter Preis, schlechter Preis bleibt schlechter Preis“, sog. Korbion’sche Preisformel) eine andere Auslegung der VOB/B jenseits der herrschenden Meinung zu finden. Gesucht wurde nach einer Lösung, nach der bei VOB/B-Verträgen die Anspruchshöhe unter Aufrechterhaltung des Äquivalenzverhältnisses zu ermitteln ist. Auch die Rechtsprechung hat sich, soweit dies durch den jeweiligen Fall erforderlich war, mit der Thematik der Neupreisbildung befasst. Wenngleich in der Gesamtschau viele gute Ansätze zu erkennen sind, ist keiner der Lösungsansätze ganz bis zu Ende gedacht. Während sich bei manchen Ansätzen keine klare Linie erkennen lässt, weil es an einer strikten Trennung nach Kostenebene (EKT) und Zuschlagsebene (Deckungsbeiträge für AGK, BGK und Wagnis und Gewinn) fehlt, lassen andere Ansätze vermissen, wie z.B. damit umzugehen ist, wenn sich infolge einer Änderungsanordnung nicht nur die Art der Leistung, sondern auch noch zusätzlich (oder auch für sich allein genommen) die Menge deutlich ändert.

Dennoch: Der Grundstein ist (zumindest was die juristischen Belange betrifft) in Fachliteratur und Rechtsprechung gelegt. Nun gilt es zum einen, die Vielzahl guter Lösungsansätze und Gedanken zu bündeln und zu einem sinnvollen Ganzen zu formen. Zum anderen ist es aber enorm wichtig, das „Wie“ der Neupreisbildung in die Sprache der Anwender (vorrangig Techniker, Architekten und Ingenieure in Planungsbüros, in Baufirmen und in Bauämtern) zu übersetzen. Es ist unerlässlich, ein Instrument, möglichst eine allgemeingültige Formel bzw. Berechnungsmethode zu entwickeln, welche in der Praxis bei der Neupreisbildung zuverlässig angewendet werden kann. Ziel dieses Beitrags5 ist es, für die Baupraxis eine sachgerechte Berechnungsmethode zu entwickeln, nach welcher neue Preise für alle Art von Ansprüchen aus § 2 Abs. 3 Nr. 2,6 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B ganz im Sinne der Aufrechterhaltung des Äquivalenzverhältnisses berechnet werden können, die weder die eine noch die andere Seite bevorteilen. 

II Vergütungsansprüche nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 , Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B

 

1 Preisermittlung nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B (Mehrmengen über 10 %)

 

Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 08.08.2019 zu Ansprüchen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B im Ergebnis zu Recht von der verkürzten Auslegung dieser Vertragsklausel bzw. der verkürzten Auslegung der sog. Korbion’schen Preisformel, welche gerne als vorkalkulatorische Preisfortschreibung verstanden wird, distanziert. Nach dem Urteil des BGH ist in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B gerade nicht geregelt, wie auf Verlangen der neue Preis in einer bestimmten Position für die über 110 % liegenden Mengen zu berechnen ist. Die Vertragsparteien können sich dem Urteil nach zwar nach wie vor entweder bereits bei Vertragsschluss oder auch erst im Nachhinein, wenn eine der Parteien einen neuen Preis nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B fordert, darauf einigen, wie der Nachtragspreis für die über 110 % liegenden Mengen zu bilden ist.

Kommt es aber zu keiner Einigung, steht seit dem BGH-Urteil vom 08.08.2019 fest, dass der Nachtragspreis für Mehrmengen über 10 % auf Grundlage tatsächlich erforderlicher Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge zu berechnen ist. Bis 110 % der ausgeschriebenen Mengen gilt demnach der vereinbarte Einheitspreis, für die über 110 % liegenden Mengen kann hingegen auf Verlangen des AN oder des AG ein neuer Einheitspreis selbstständig und losgelöst vom bestehenden Einheitspreis bestimmt werden (preisliche Aufspaltung der Leistungsposition).

Wichtig ist noch Folgendes: Der Anspruch auf einen neuen Preis wird allein durch das Überschreiten der 110-%-Mengenschwelle ausgelöst. Anspruchsvoraussetzung ist es nicht, dass sich die im ursprünglichen Einheitspreis veranschlagten Kosten kausal wegen der Mengenmehrung verändern (z.B. höhere Transportkosten zu einer weiter entfernt liegenden Deponie 2, welche bei größeren Entsorgungsmengen angefahren werden muss, da Deponie 1 kapazitätsbedingt die Mehrmengen nicht annimmt). Tatsächlich erforderliche Mehr- oder Minderkosten, die aus der Mengenmehrung über 10 % resultieren (wie hier im Beispiel höhere Transportkosten infolge der Mengenmehrung), sind allerdings – sollten sie auftreten – bei der Neupreisbildung zusätzlich zu berücksichtigen. Für den verlangten neuen Preis ab 110 % sind also als direkte Kosten (EKT) die tatsächlich erforderlichen Kosten anzusetzen, und zwar für alle Kalkulationszeilen der betroffenen Position (also unabhängig davon, ob sich die ursprünglich veranschlagten Kostenansätze wegen der Mengenmehrung dort jeweils ändern oder nicht!). Sollten – unabhängig davon – in einzelnen Kalkulationszeilen der betroffenen Position Mehr- oder Minderkosten mit der Mengenmehrung kausal einhergehen, so sind diese jeweils dort zusätzlich zu berücksichtigen, und zwar als tatsächlich erforderliche Mehr- oder Minderkosten.

Was höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, ist die Anspruchsermittlung der Höhe nach für angeordnete geänderte Leistungen (§ 2 Abs. 5 VOB/B ), bei denen sich nur die Art der Leistung, nicht aber die Menge ändert (z.B. 400 m2 Parkettfußboden statt 400 m2 Laminat). Bis dies geschieht, muss hierfür ein praktikabler Lösungsansatz gefunden werden, welcher den bisher gezeigten Grundprinzipien folgt. Dann ist aber auch bei angeordneten qualitativen Leistungsänderungen (§ 1 Abs. 3 VOB/B ) der Anspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B auf Grundlage der tatsächlich erforderlichen Mehr- oder Minderkosten zuzüglich angemessener Zuschläge zu ermitteln. Nur so kann, wie oben gezeigt, das Äquivalenzprinzip im Sinne eines „redlichen Ergebnisses“ aufrechterhalten werden. Es gibt genauso wenig einen Grund, von dieser (fairen) Linie bei Ansprüchen nach § 2 Abs. 5 VOB/B für rein qualitative Änderungen abzuweichen, wie es zu erwarten gilt, dass der BGH – sollte es solch einen Fall irgendwann zu beurteilen geben – einem anderen Ansatz folgen wird.

Diese Linie drängt sich übrigens auch auf, wenn eine Änderungsanordnung des AG sowohl zu Mengenmehrungen über 10 % als auch zu qualitativen Leistungsänderungen führt. Eine Trennung in eine Preisermittlung auf Grundlage tatsächlich erforderlicher Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge und einen anderen Ansatz wäre schlichtweg nicht praktikabel. Wie auch bei der Anspruchsermittlung nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B sind bei der Bestimmung des neuen Einheitspreises die tatsächlich erforderlichen Mehr- oder Minderkosten lediglich in denjenigen Kalkulationszeilen zu berücksichtigen, die von der qualitativen Leistungsänderung betroffen sind, allerdings bei Ansprüchen nach § 2 Abs. 5 VOB/B bereits von Anbeginn, also auch ohne Mengenänderung bzw. ab dem ersten Mengenänderungs-Prozentpunkt. Wird dann noch die 110-%-Mengenschwelle überschritten, werden zur Abrechnung der Mengen über 110 % unabhängig davon in allen Kalkulationszeilen der geänderten Position die Teilpreise durch Ansatz der tatsächlich erforderlichen Kosten (welche für die unveränderte Teilleistungszeile zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses angefallen wären) zuzüglich angemessener Zuschläge gebildet.

 

Dipl.-Ing. Andreas Wernthaler, München

 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz "Lösungsvorschlag zur Nachtragspreisermittlung nach § 2 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B " von Dipl.-IngAndreas Wernthaler erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2021, 1534 - 1547 (Heft 10). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.