Auftragnehmer insolvent: Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters reicht für Direktanspruch gegen Betriebshaftpflichtversicherer nicht aus

OLG Frankfurt, Urteil vom 09.05.2023 - 18 U 4/23 VVG §§ 106, 110

Eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters bezieht sich nur auf ein Absonderungsrecht des Geschädigten und ist nicht gleichbedeutend mit einem unter Umständen zu einem Direktanspruch gegen den Versicherer führenden Anerkenntnis eines Haftpflichtanspruchs i.S.d. § 106 Satz 1 VVG.

OLG Frankfurt, Urteil vom 09.05.2023 - 18 U 4/23

VVG §§ 106110

 

Problem/Sachverhalt

Der Auftraggeber (AG) beauftragte den beim beklagten Versicherer einst betriebshaftpflichtversicherten Dachdecker mit Erstellung eines kompletten Dachaufbaus. Vier Jahre nach Ausführung der Arbeiten und zwei Jahre nach der Insolvenz des Dachdeckers nahm der AG den damaligen Betriebshaftpflichtversicherer u. a. wegen Feuchteschäden im Dachaufbau klageweise in Anspruch. Der Insolvenzschuldner habe insbesondere einen Flachdachablauf mangelhaft eingedichtet. Der AG legte ein Schreiben des Insolvenzverwalters vor, mit dem dieser "etwaig zu Gunsten des Insolvenzschuldners gegenüber dem Versicherer bestehende Deckungsansprüche aus Arbeiten am Bauvorhaben des AG freigibt, soweit ein Absonderungsrecht des AG bestünde." Des Weiteren teilte der AG mit, dass die Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet worden sei. Das Landgericht wies die Klage ab, da der AG schon nicht dargelegt habe, dass der Insolvenzverwalter oder der Versicherungsnehmer den behaupteten Schaden oder eine Verantwortlichkeit anerkannt hätten. Hiergegen richtet sich der AG mit seiner Berufung.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Das OLG bekräftigt, dass der Direktanspruch des Geschädigten - genauso wie der Freistellungsanspruch des schädigenden Versicherungsnehmers gegen seinen Versicherer - nach § 106 Satz 1 VVG zur Voraussetzung hat, dass der Haftpflichtanspruch des geschädigten Dritten durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist. Das OLG nimmt Bezug auf die BGH-Rechtsprechung nach der zwar die widerspruchslose Feststellung des Haftpflichtanspruchs zur Tabelle durch den Insolvenzverwalter als Anerkenntnis i.S.d. § 106 Satz 1 VVG gewertet werden könne, stellt diesbezüglich aber heraus, dass es nicht ausreicht, vorzutragen, dass der Insolvenzverwalter die Forderung "freigegeben" habe. Eine solche Erklärung beziehe sich nur auf den Deckungsanspruch und auf das Absonderungsrecht des Geschädigten i.S.d. § 110 VVG, nicht aber auf den Haftpflichtanspruch selbst. Dessen Fälligkeit sei nach wie vor Anspruchsvoraussetzung.

Praxishinweis

Das OLG verweist auf die jüngere Entscheidung des BGH vom 10.03.2021 (IV ZR 309/19IBRRS 2021, 0920). Demnach kommt der Feststellung zur Tabelle nur bindende Wirkung zu, wenn der Versicherer zugestimmt hat oder die Haftpflichtschuld nach materieller Rechtslage tatsächlich besteht. Der Versicherer wird also die Haftpflichtschuld zur Überprüfung stellen können und muss ein grundloses Anerkenntnis des Insolvenzverwalters nicht gegen sich wirken lassen. Eine solche Überprüfung kann ausnahmsweise und inzident im Verfahren des Geschädigten gegen den Versicherer erfolgen, insbesondere dann, wenn die Forderung zur Tabelle ohne jedwede Beteiligung des Versicherers vom Insolvenzverwalter aufgenommen wurde. Im vom OLG entschiedenen Fall stellte sich diese Frage aber nicht, denn es lag nur eine Freigabeerklärung, nicht aber eine widerspruchslose Feststellung zur Tabelle, vor. Auf Letztere muss der Insolvenzgläubiger also hinwirken.

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Klaus Bröcher, Köln

© id Verlag