Das Zurückbehaltungsrecht des Generalunternehmers wegen nicht nachgewiesener Beitragsabführung durch den Nachunternehmer vor und nach Insolvenzeintritt

Die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber ist Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Sozialversicherungssystem und spielt insbesondere in der insolvenzanfälligen Baubranche eine besondere Rolle. Hier haften nicht ausschließlich die jeweiligen Arbeitgeber für die abzuführenden Beiträge, vielmehr müssen auch die in Auftragsketten (Generalunternehmer – Nachunternehmer – weiterer Nachunternehmer) jeweils vorgeschalten Auftraggeber wie Bürgen für die nicht abgeführten Beiträge ihrer Nachunternehmer einstehen und dies, im Regelfall, ohne echte Rückgriffschance. Die Auftraggeber haben daher ein großes Interesse daran, sich gegen diese – insbesondere im Insolvenzfall drohende – Haftung abzusichern.

Der nachfolgende Beitrag untersucht, auf welche Weise sich Auftraggeber gegenüber ihren Nachunternehmern vor einem Schaden schützen können, der ihnen durch die bürgengleiche Inanspruchnahme entstünde. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, ob und unter welchen Umständen dem Auftraggeber gegenüber der vom Nachunternehmer geltend gemachten Vergütungsforderung ein Zurückbehaltungsrecht zusteht.

 

A. Einleitung

Unternehmen sind dazu verpflichtet, Steuern sowie sozialversicherungsrechtliche Beiträge für ihre Arbeitnehmer abzuführen. Eine besondere Relevanz kommt diesen Pflichten innerhalb der Baubranche zu.

Beauftragt ein Bauunternehmen (in der Praxis häufig ein Generalunternehmer, künftig „GU“) einen Nachunternehmer, so haftet es unter bestimmten Voraussetzungen auch für zahlreiche Zahlungsverpflichtungen des von ihm eingesetzten Nachunternehmers gegenüber dessen Arbeitnehmern. Diese der rechtlichen Ausgestaltung nach bürgengleiche Haftung umfasst die Beiträge zur Sozialversicherung, die Abführung der Lohnsteuer sowie die Gewährung eines Mindestlohns. In dieser latenten Haftungsposition droht dem GU eine „doppelte Inanspruchnahme“. Zum einen beinhaltet die von ihm an den Nachunternehmer geleistete Vergütung bereits die vom Nachunternehmer anschließend abzuführenden Beiträge, da diese in die Vergütung einkalkuliert sind. Zum anderen droht ihm eine weitere Inanspruchnahme durch die für die Einziehung der Beiträge jeweils zuständigen Stellen, z.B. die Berufsgenossenschaft für die gesetzliche Unfallversicherung.

Führt der Nachunternehmer die vorbenannten Beiträge nicht ab, ist grundsätzlich anerkannt, dass dem GU gegenüber dem Vergütungsanspruch des Nachunternehmers ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe der drohenden Haftung zusteht. Kritisch wird die Situation für den GU in dem Moment, in dem der Nachunternehmer Insolvenz anmeldet. Es ist bis heute nicht hinreichend geklärt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der GU das Zurückbehaltungsrecht auch nach Eintritt der Insolvenz dem Subunternehmer bzw. dessen Insolvenzverwalter entgegen halten kann.

Der nachfolgende Beitrag soll, veranlasst durch eine uneinheitliche Rechtsprechung, einen systematischen Überblick über die möglichen Zurückbehaltungsrechte geben und soll Möglichkeiten aufzeigen, wie sich der GU gegen eine „doppelte Inanspruchnahme“ absichern kann.

Zunächst wird ein Überblick über die möglichen Haftungsrisiken sowie ihre Hintergründe gegeben (unter B.). Hieran anschließend wird auf die in Betracht kommenden Zurückbehaltungsrechte des GUs gegenüber etwaigen Vergütungsansprüchen des Nachunternehmers sowie auf deren Bestand im Falle der Insolvenz des Nachunternehmers eingegangen (unter C.). Abschließend werden die Auswirkungen der ermittelten Erkenntnisse auf die Vertragsgestaltung dargestellt (unter D.).

B. Haftung des GUs

Wie oben bereits aufgeführt, droht dem GU mit Blick auf die Nichterfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten des Nachunternehmers aus einer Reihe von unterschiedlichen Tatbeständen die Gefahr der Inanspruchnahme durch die zuständigen öffentlichen Stellen. Dies sind insbesondere:

I. Haftung für Beiträge zur Sozialversicherung

Der Haftungsanspruch hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge ergibt sich aus § 28e Abs. 3a SGB IV. Für die Beiträge zur Berufsgenossenschaft ergibt sich die Haftung des GUs über die Verweisung in § 150 Abs. 3 SGB VII . Danach haftet ein Unternehmen im Baugewerbe, das zur Erbringung seiner Leistungen einen Nachunternehmer einsetzt, für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Nachunternehmers oder auch einer Leiharbeitsfirma wie ein selbstschuldnerisch haftender Bürge. Dies gilt gemäß § 28e Abs. 3d SGB IV  jedoch nur ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen i.H.v. 275 000,– €.

II. Haftung für den Mindestlohn

Die Möglichkeit der Inanspruchnahme des GUs für die Zahlung des Mindestlohns ergibt sich aus § 14 Satz 1 AEntG . Hiernach haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien (wie etwa die Zusatzversorgungskasse) wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage i.S. des § 771 Satz 1 BGB  verzichtet hat.

III. Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer

In Betracht kommt ferner eine Haftung des GUs für nicht abgeführte Lohnsteuer aus § 42d EStG . Diese Vorschrift schafft für das Finanzamt die Möglichkeit, den Arbeitgeber und den Entleiher von Arbeitskräften als weitere Dritte i.S. des § 38 Abs. 3a EStG  in Anspruch zu nehmen, falls die Lohnsteuer nicht den Vorschriften entsprechend erhoben bzw. nicht abgeführt wurde. Jedoch beschränkt § 42d Abs. 6 EStG  die Haftung auf den Fall der Arbeitnehmerüberlassung. Weiterhin ist eine Haftung des GUs bzw. des Entleihers nur gegeben, wenn ihn ein Verschulden trifft.

IV. Sinn und Zweck der Ausfallhaftung

Sinn dieser Ausfallhaftung ist es, nicht nur eine verlässliche Abführung der Beiträge im öffentlichen Interesse zu gewährleisten, sondern auch die Bauunternehmer zu veranlassen, bei der Auswahl ihrer Nachunternehmer zu prüfen, ob diese sich illegaler Praktiken bedienen.  Bislang haben viele Unternehmen oftmals, trotz eindeutiger Indizien für das Vorliegen illegaler Beschäftigung (z.B. offensichtlich unrealistische Preiskalkulation), die Augen verschlossen. Mit den entsprechenden gesetzlichen Regelungen sollen die Unternehmen innerhalb der Baubranche verstärkt in die Verantwortung genommen werden, um eine Abführung der gesetzlichen Beiträge sicherzustellen. Insbesondere sollen hierdurch bauspezifische Umgehungen vermieden und es soll legale Beschäftigung gefördert werden, um so die Schwarzarbeit am Bau zu bekämpfen.

Durch die vorbenannten Regelungen wurden Mittel dafür geschaffen, Umgehungsmodelle zumindest zu erschweren. Der Ansatz des Gesetzgebers, die „Hintermänner“ sowie die GUs in die Verantwortung zu nehmen, erscheint als politisch sicher diskutables, zumindest aber recht effektives Mittel.

C. Einrede des GUs

Die gesetzgeberische Entscheidung, die Beitragslast auch auf die Schultern des GUs zu verteilen, darf diesen allerdings nicht rechtlos stellen, erst recht nicht gegenüber dem eigentlichen Verursacher, seinem Nachunternehmer. Das Bestehen einer Einrede des GUs gegenüber der Werklohnforderung des Nachunternehmers in Höhe der drohenden Haftung ist daher im Grundsatz anerkannt. Der Frage nach der genauen dogmatischen Herleitung dieses Zurückbehaltungsrechts kommt erst dann entscheidende Bedeutung zu, wenn die Insolvenz des Nachunternehmers eintritt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass nicht alle denkbaren Zurückbehaltungsrechte im Fall der Insolvenz des Nachunternehmers Wirkung entfalten können. Daher soll die Problematik in den nachfolgenden Ausführungen auch aus insolvenzrechtlicher Sicht beleuchtet und der aktuelle Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung dargestellt werden. Die weiteren Ausführungen beziehen sich hierbei exemplarisch auf die Haftung des GUs für die Beiträge zur Sozialversicherung (§ 28e Abs. 3a SGB IV ), können aber auf die anderen Haftungstatbestände übertragen werden.

 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Das Zurückbehaltungsrecht des Generalunternehmers wegen nicht nachgewiesener Beitragsabführung durch den Nachunternehmer vor und nach Insolvenzeintritt erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2015, 1055 - 1063, Heft 7). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.