3 Personen auf Großbaustelle

Kündigen will gelernt sein!

OLG Stuttgart, Urteil vom 30.12.2020 - 10 U 202/20; BGH, Beschluss vom 12.01.2022 - VII ZR 78/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

1. Ein Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten eines Drittunternehmers für die Fertigstellung des Bauvorhabens setzt voraus, dass der Auftraggeber entweder schriftlich die Kündigung erklärt oder zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht hat, dass er den Vertrag beenden will. Auch die ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers macht eine Kündigungserklärung nicht entbehrlich (Anschluss an BGH, IBR 2018, 68).
2. Der Auftraggeber kann den Vertrag auch vor Eintritt der Fälligkeit/des Verzugs kündigen, wenn feststeht, dass der Auftragnehmer seine Leistung bis zum vereinbarten Termin nicht fertig stellen wird bzw. kann.
3. Eine Fristsetzung mit Androhung der Auftragsentziehung ist entbehrlich, wenn der Auftragnehmer das Erbringen seiner Leistung ernsthaft und endgültig verweigert.

OLG Stuttgart, Urteil vom 30.12.2020 - 10 U 202/20; BGH, Beschluss vom 12.01.2022 - VII ZR 78/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

BGB § 323 Abs. 4; VOB/B § 5 Abs. 4, § 8 Abs. 3

 

Problem/Sachverhalt

Auftraggeber (AG) und Auftragnehmer (AN) streiten über die Erstattungsfähigkeit von Mehraufwendungen für einen Drittunternehmer nach Kündigung eines VOB-Bauvertrags. Dem ging ein Streit u. a. über die Voll- bzw. Unvollständigkeit von Werkstattzeichnungen sowie die Bezahlung einer Abschlagsrechnung voraus, der den AN zur Kündigung des Bauvertrags veranlasste. Hierauf reagierte der AG durch Anwaltsschreiben mit der Mitteilung an den AN, dass Mehrkosten von über 80.000 Euro entstanden seien, und der Aufforderung zum Haftungsanerkenntnis. Nachdem dieses ausblieb und der Streit über die behaupteten Mehrkosten erstinstanzlich vor Gericht landete, erklärte der AG seinerseits ausdrücklich die Kündigung des Bauvertrags.

Entscheidung

Das OLG spricht dem AG die geltend gemachten Mehrkosten zu und knüpft hiermit an die jüngere Rechtsprechung des BGH an. Eine Kündigung des AG war nicht bereits wegen der vorangegangenen (unberechtigten) Kündigung des AN entbehrlich. Auch eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung des AN, die in einer unberechtigten Kündigung liegt, macht eine Kündigungserklärung des AG nicht überflüssig. Vielmehr muss der AG - zumindest konkludent - zum Ausdruck bringen, dass er den Vertrag beenden will. Ein Anspruch aus § 4 Nr. 7, § 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B (2006) setzt grundsätzlich eine schriftliche Kündigungserklärung des AG voraus. Es ist auf Seiten des AG ein Verhalten erforderlich, das dem mit der Regelung verfolgten Zweck, klare Verhältnisse zu schaffen, gerecht wird. Er muss wenigstens konkludent zum Ausdruck bringen, dass er den Vertrag mit dem AN beenden will (Anschluss an BGH, IBR 2018, 68). Diesen konkludent zum Ausdruck gebrachten Willen entnimmt das Gericht dem anwaltlichen Schreiben nach Kündigungserklärung des AN. Damit mache der AG Schadensersatz wegen Nichterfüllung gem. § 281 BGB geltend. Werkleistungen werden nicht mehr verlangt. Das Rechtsverhältnis sollte in ein Abrechnungsverhältnis überführt werden. Hierin sei eine konkludente Kündigung zu sehen. Eine vorherige Fristsetzung mit Androhung der Auftragsentziehung war ausnahmsweise, angesichts der Erfüllungsverweigerung des AN, entbehrlich. Auf die im späteren Prozess erklärte Kündigung kam es nicht an.

Praxishinweis

Gerade noch einmal die Kurve bekommen, wird man wohl aus Auftraggebersicht sagen müssen. Auch wenn dieser bei der Entscheidung die jüngere BGH-Rechtsprechung auf seiner Seite hatte, bedurfte es hierfür einer Auslegung der auftraggeberseitigen Erklärung als Kündigung. Dies hätte er stressfreier haben können und zeigt wieder einmal: Kündigen will gelernt sein. Ohne klare Kommunikation bei Beendigung des Vertrags stehen kündigungsbedingte Ansprüche auf tönernen Füßen.

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Florian Herbst, Hamburg

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