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Gesamtschuld von Architekt und Unternehmer bei fiktiven Mängelbeseitigungskosten

Mit Urteil vom 22.02.2018 hat der BGH die jahrzehntelange Rechtsprechung zum mangelbedingten Schadensersatz in Höhe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten aufgegeben. Diese können in keinem Fall mehr zur Schadensbemessung herangezogen werden. Da der Bauherr, der das Werk behält und einen Mangel nicht beseitigen lässt, den Schaden vielmehr in der Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der mangelfreien Sache zur mangelhaften Sache bemessen kann, wirft Rechtsanwalt Stefan Reichert die Frage auf, ob mit dieser „kopernikanischen Wende“ im Kampf gegen die Überkompensation nicht lediglich die fiktiven Mangelbeseitigungskosten gegen einen fiktiven Minderwert ausgetauscht wurden? Nach dem ersten Überschwang über die vermeintliche Stringenz der Entscheidung drängen sich für ihn zahlreiche Folgefragen zu dieser Kehrtwende des VII. Zivilsenates auf, nach deren Antworten er in diesem Fachartikel sucht.

So soll hier untersucht werden, ob die in der Praxis lieb gewonnene Gesamtschuld zwischen bauausführendem Unternehmer und bauüberwachendem Architekten auch nach der Rechtsprechungsänderung Bestand haben kann.

I. Voraussetzungen der Gesamtschuld


Das Gesetz sieht in § 421 BGB  zunächst drei geschriebene Tatbestandsmerkmale der Gesamtschuld vor. So müssen bereits denklogisch mehrere Schuldner einem Gläubiger gegenüberstehen.  Die Schuldner müssen „eine Leistung“ zu erbringen haben, wobei jeden Schuldner die volle Leistungspflicht trifft.  Zu guter Letzt sieht § 421 BGB  die sog. Gesamtwirkung vor. Danach ist die geschuldete Leistung nur ein einziges Mal zu erbringen. Sobald einer der Schuldner geleistet hat, werden dementsprechend alle Schuldner dem Gläubiger gegenüber von der Leistung frei.

Neben den geschriebenen Tatbestandsmerkmalen werden in Rechtsprechung und Literatur weitere ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzungen aufgestellt.

Das noch von der Rechtsprechung des Reichsgerichts geforderte Vorliegen eines einheitlichen Schuldgrundes wird indes, vor allem mit Blick auf die Regelungen der §§ 769  und 774 Abs. 2 BGB , die eine Gesamtschuld ausdrücklich auch bei getrennter Verbürgung zulassen, abgelehnt.

Die Lehre von der Zweckgemeinschaft nahm nur dann eine Gesamtschuld an, wenn ein innerer Zusammenhang der beiden Verpflichtungen im Sinne eines gemeinsamen Zwecks besteht und sie nicht nur zufällig und absichtslos zustande gekommen sind. Der Zweck dieser Gemeinschaft ist es, dass Architekt und Bauunternehmer jeder auf seine Art für die Beseitigung desselben Schadens einzustehen haben, den der Bauherr dadurch erlitten hat, dass jeder von ihnen seine vertraglich geschuldeten Pflichten mangelhaft erfüllt hat. Da der BGH den Begriff der Zweckgemeinschaft bislang allerdings nicht abstrakt definiert hat, wird entgegengehalten, dass der Anwendungsbereich des § 421 BGB  je nachdem wie eng oder weit man den Begriff der Zweckgemeinschaft auslegt, entweder nicht wirksam eingeschränkt oder aber Sachverhalte ausgeschlossen werden, die nach den gesetzlichen Regelungen unter die Gesamtschuld fallen. Die Lehre von der Zweckgemeinschaft verliert daher in jüngster Zeit an Bedeutung.

Vor allem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird die Gleichstufigkeit der Verpflichtungen der Schuldner als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gefordert. Dabei ist es unerheblich, ob die in Frage stehenden Leistungen Hauptleistungspflichten oder Gewährleistungspflichten sind, entscheidend ist alleine, ob diese Leistungen gleichstufig nebeneinander stehen. Dies ist der Fall, wenn sich der Leistungszweck der Verpflichtung eines Schuldners gegenüber der Verpflichtung eines oder mehrerer weiterer Schuldner nicht als vorläufig und/oder subsidiär und somit nachrangig darstellt. In diesem Fall ist aber bereits der Tatbestand des § 421 BGB  nicht erfüllt, da der Gläubiger die Leistung gerade nicht „nach seinem Belieben vom jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern“ kann. Des Kriteriums der Gleichstufigkeit bedarf es in diesen Fällen folglich nicht. Weiter nahm der BGH die Gleichstufigkeit mehrerer Leistungen an, wenn sie ein inhaltsgleiches Gläubigerinteresse befriedigen sollten. An der Gleichstufigkeit fehle es aus der Gläubigerperspektive jedenfalls dann, wenn die Verpflichtung des einen Schuldners nur der raschen Befriedigung und Sicherstellung des Gläubigers, die Verpflichtung des anderen Schuldners dagegen als endgültig anzusehen ist, mit anderen Worten, wenn ein Schuldner erkennbar nur für die Liquidität des anderen einzustehen hat. Der BGH hat das Kriterium der Gleichstufigkeit jedoch nicht konsequent durchgehalten und eine Gesamtschuld auch dann angenommen, wenn die Interessenlage zwischen den verschiedenen Schuldnern eine Aufteilung der Verbindlichkeit nach den Regeln der Gesamtschuld gebot. Wie schon in der Ausgangsentscheidung des Großen Senats von 1965 wird auch hier vom Innenausgleich der Gesamtschuldner her argumentiert und nicht die Frage beantwortet, ob mehrere Schuldner eine Leistung schulden. So werden der auf Schadensersatz in Geld haftende Architekt und der zur Beseitigung des Mangels verpflichtete Bauunternehmer als Gesamtschuldner behandelt, obwohl sie nicht die gleiche Leistung schulden. Unerlässliche Voraussetzung sei lediglich, dass dem Gläubiger mehrere Schuldner in der Weise haften, dass er sich mit der Leistung eines von ihnen zufriedengeben muss. Das geschriebene Tatbestandsmerkmal „eine Leistung“ wird dabei entgegen dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 421 Satz 1 BGB  durch die Befriedigung desselben Leistungsinteresses ersetzt. Eine vollkommene Identität von Leistungsinhalt und Leistungsumfang sei dagegen nicht erforderlich. Der Große Senat des BGH postulierte insoweit, der Wortlaut des § 421 BGB  enthalte nur einen unbestimmten Artikel, sodass eine genaue Identität nicht erforderlich sei, sondern eine an der Grenze zur inhaltlichen Gleichheit liegende besonders enge Verwandtschaft für die Annahme einer Gesamtschuld ausreiche.

II. Gesamtschuld zwischen Architekten und Bauunternehmer?


In der Baurechtspraxis sind verschiedene Fallgruppen der Gesamtschuld zwischen Architekt und bauausführendem Unternehmer anerkannt.  Der hier interessierende Hauptanwendungsfall dürfte jedoch im Zusammenfallen von Mängelansprüchen des Bauherren gegen den bauausführendem Unternehmer wegen mangelhafter Ausführung und gegen den Architekten wegen mangelhafter Bauüberwachung liegen, soweit sich die jeweiligen Pflichtverstöße im selben Mangel am Bauwerk manifestieren.

Dabei ist zunächst die Frage zu beantworten, welche Mängelansprüche dem Bauherrn jeweils gegen den Architekten und den bauausführenden Unternehmer zustehen.

1. Mängelansprüche gegen den bauausführenden Unternehmer

Das Gesetz zählt diese Mängelansprüche in § 634 BGB  abschließend auf. So kann der Besteller, wenn das geschuldete Werk mangelhaft ist Nacherfüllung verlangen, den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen einschließlich eines Vorschusses hierfür verlangen, vom Vertrag zurücktreten oder die Vergütung mindern und zu guter Letzt Schadensersatz fordern. Dies leuchtet für den bauausführenden Unternehmer unmittelbar ein.

2. Mängelansprüche gegen den bauüberwachenden Architekten

Etwas schwieriger wird es schon beim bauüberwachenden Architekten. Mängel in der Bauüberwachung werden in der Regel nur schwer durch Nacherfüllung kompensierbar sein, wenn sich diese Mängel bereits im konkreten Bauwerk manifestiert haben. Der BGH vertrat dazu die Auffassung, dass im Falle der Verkörperung eines Fehlers der Bauaufsicht in Mängeln am Bauwerk eine Nachbesserung der fehlerhaften Bauaufsicht nicht mehr möglich sei. Zutreffend ist zweifelsohne, dass an die Stelle des nicht mehr möglichen Nacherfüllungsanspruchs ein Schadensersatzanspruch tritt. Inhalt und Umfang dieses Schadensersatzanspruchs sind damit jedoch nicht umrissen. Der Bauherr ist gem. § 249 Abs. 1 BGB  so zu stellen, wie er stünde, wenn der Architekt seine Pflicht ordnungsgemäß erfüllt hätte. Die Schlussfolgerung, dass der Architekt dann in jedem Falle für die Mangelbeseitigung hafte, ist jedoch nicht mehr recht nachvollziehbar. Die entscheidende Frage hierbei liegt in der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem sich daraus ergebenden verkörperten Mangel am Bauwerk. Wird ein Planungsmangel umgesetzt führt die Pflichtverletzung unzweifelhaft zu einem Mangel am Bauwerk.

Anders ist dies jedoch bei einem Überwachungsfehler. Die Rechtsprechung hält sich hier allerdings mit bloßen Leerformeln auf: „Der Architekt schuldet alle Tätigkeiten, die zur Gewährleistung der mangelfreien Bewirkung der zu überwachenden Bauleistungen erforderlich und ihm zumutbar sind.[…], mit anderen Worten „die mangelfreie Bewirkung der zu überwachenden Bauleistungen als Erfolg“. Die Leistung des Architekten diene damit dem „Entstehenlassen eines Bauwerks“ als einheitlichem Werkerfolg.

Die „mangelfreie Bewirkung der Bauleistung“ ist aber ebenso wie das „Entstehenlassen“ wenig aussagekräftig und bleibt jede dogmatische Begründung schuldig. Worin sollen diese Tätigkeiten bestehen, die zur „Bewirkung der Bauleistung“ oder zum „Entstehenlassen des Bauwerks“ führen? Was die Rechtsprechung unter dem entscheidenden und angeblich erfolgsbezogenen Begriff des „Entstehenlassens eines Bauwerkes“ verstehen will bleibt unklar.

Hat der Architekt bspw. die regelgerechte Schichtdicke einer bituminösen Abdichtung zu überprüfen, würde diese Schichtdicke erst nach Fertigstellung der aufgetragenen Bitumenschichten überprüft werden können. Die Überwachung selbst kann dabei also keinen Einfluss mehr auf die unter Umständen bereits mangelhaft ausgeführte Abdichtung haben. Die ordnungsgemäße Ausführung der Überwachung durch den Architekten kann hier lediglich dazu führen, dass der Bauherr auf den Mangel hingewiesen wird und entsprechende Maßnahmen veranlassen kann, dass z.B. nicht auf der Grundlage der mangelhaften Abdichtung das Bauwerk weiter ausgeführt wird, sondern vielmehr sofort Mangelbeseitigungsmaßnahmen eingeleitet 

werden können. Eine ähnliche Problematik entsteht bspw. bei der Überwachung von Betonierarbeiten, insbesondere im Zusammenhang mit der Herstellung einer weißen Wanne und deren besonderen Anforderung an Bewehrung und Betonqualität. Die Überprüfung der Betonqualität wird in der Regel mehr Zeit in Anspruch nehmen als der Zeitdruck einer modernen Baustelle zulässt. Das Ergebnis – auch bloß stichprobenartiger Kontrollen – wird daher häufig erst vorliegen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen bzw. der mangelhafte Beton in die Schalung geflossen ist.

Die Rechtsprechung vermag keine Antwort darauf zu geben, wie die bloße Überwachung und Kontrolle den Ausführungsmangel verhindern solle. Nach der hier vertretenen Auffassung schuldet der Bauüberwacher neben der reinen Überprüfung auch die Aufklärung des Bauherrn vom Ergebnis der Untersuchung. Damit entsteht aber noch kein mangelfreies Bauwerk. Je nach den Ergebnissen dieser Überwachungsleistung wird der Architekt jedenfalls verpflichtet sein, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Abweichungen der Bauleistungen vom Bausoll zu vermeiden, gegebenenfalls zu korrigieren. Diese Tätigkeiten werden jedoch in der Praxis in der bloßen Information des Bauherrn und der entsprechenden Mangelbeseitigungsaufforderung an den ausführenden Unternehmer ihre Grenzen finden. Die Pflichten des Architekten können dabei nicht weiter gehen, als die Eingriffsbefugnisse des Bauherren selbst gegenüber dem Unternehmer. Die Aufsicht des Bauherren beschränkt sich auf die beobachtende und überprüfende Tätigkeit. Daraus ergibt sich jedoch kein Eingriffsbefugnis in das Werk des Unternehmers während der Ausführung. Der Bauherr hat – mit Ausnahme des § 4 Abs. 7 VOB/B  – bis zur Abnahme keinen Einfluss auf den Herstellungsprozess. Es ist alleine Sache des bauausführenden Unternehmers, wie er sein Werk mangelfrei herstellt. Bemerkt der Architekt im Rahmen der ordnungsgemäßen Bauüberwachung einen Ausführungsmangel des Unternehmers, erfüllt er seine Pflichten, wenn der den Bauherren darauf hinweist und den Unternehmer zur Mangelbeseitigung auffordert.


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Die vertragsjuristische Bewältigung der Bauzeit “ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2019, 1 - 9 (Heft 1)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.