Bauproduktenrecht im Überblick - Teil 2

Bauprodukte stehen angesichts exorbitant steigender Preise derzeit im Fokus einer breiten Öffentlichkeit. Ein Thema, welches dagegen noch immer ein Nischendasein fristet, ist das nicht nur für Baujuristen schwer zu durchdringende Bauproduktenrecht. Dabei gewinnt es in der Praxis immer mehr an Bedeutung und kann zur Haftungsfalle für Planer, Bauunternehmer und womöglich auch für Sachverständige werden. Anlass genug, einen grundlegenden Überblick über die komplizierte Thematik zu geben.

1. Verwendbarkeit von CE-gekennzeichneten (harmonisierten) Bauprodukten

Harmonisierte Bauprodukte sind nach der neuen Regelung des § 16c in der Musterbauordnung (MBO) nunmehr verwendbar, wenn die durch die CE-Kennzeichnung belegten „erklärten Leistungen“ den in diesem Gesetz festgelegten Anforderungen entsprechen. Dies kann sowohl bei einer in diesem Sinne vollständig harmonisierten europäischen Norm sowie aufgrund einer europäischen technischen Bewertung (ETA) nach Art. 19 BauPVO gegeben sein. Die Regelungen für nicht harmonisierte Bauprodukte gelten hier nicht. Es erfolgt also eine klare Abgrenzung zwischen den harmonisierten Bauprodukten und den nicht harmonisierten Bauprodukten, um eine Vermischung der Anforderungen – wie zuvor – zu vermeiden.

§ 16c MBO stellt dabei das „rechtliche Scharnier“ zwischen den erklärten Leistungen eines Produkts und den spezifischen Anforderungen, die sich für einen bestimmten Verwendungszweck bauwerksseitig ergeben, dar. Die bauwerksseitigen Anforderungen ergeben sich aus dem Gesetz und den aufgrund des Gesetzes erlassenen Vorschriften, z.B. aus den Sonderbauvorschriften und den Technischen Baubestimmungen.


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TEIL 1


Die MBO macht sich dabei den Ansatz der BauPVO zu Eigen, wonach die CE-Kennzeichnung nicht die Brauchbarkeit des Bauprodukts oder seine Übereinstimmung mit den Vorgaben der harmonisierten technischen Spezifikation belegt, sondern lediglich die nach den Vorgaben der harmonisierten technischen Spezifikation festgestellte Konformität des Bauprodukts mit der erklärten Leistung. Das Bauprodukt darf gemäß § 16c MBO verwendet werden, wenn die erklärten Leistungen den Anforderungen der in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes festgelegten Anforderungen für diese Verwendung entsprechen. Dabei müssen alle Leistungen erklärt sein, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Anforderungen, und zwar alle durch und aufgrund der MBO gestellten bauwerksseitigen Anforderungen, erfüllt sind.

Sofern die erklärten Leistungen nicht alle bauwerksseitigen Anforderungen erreichen oder die Randbedingungen, unter denen die Bauprodukte verwendet werden, von den in der harmonisierten technischen Spezifikation vorgesehenen Randbedingungen abweichen oder zu bestimmten Merkmalen, die sich im konkreten Verwendungszusammenhang auf die Erfüllung der Anforderungen auswirken, keine Leistungen ausgewiesen sind, müssen die am Bau Beteiligten eigenverantwortlich entscheiden, ob die Defizite so gering sind, dass von der Erfüllung der bauwerkseitigen Anforderungen trotzdem ausgegangen werden kann.

Für Bauprodukte, deren zugrundeliegenden harmonisierten europäischen Normen eine die bauwerkseitigen Anforderungen treffende Leistungserklärung nicht vollständig ermöglichen, kann der Hersteller ergänzend eine Europäische Technische Bewertung (ETA) beantragen. Eine Pflicht hierzu besteht jedoch nicht. Sofern im Hinblick auf die bauwerkseitigen Anforderungen eine ausreichende Leistungserklärung nicht vorliegt, darf das Bauprodukt nicht allein aufgrund von § 16c MBO verwendet werden. Zulässig ist in diesem Fall aber, dass erforderliche Produktleistungen durch freiwillige Herstellerangaben nachgewiesen werden.

2. Verwendbarkeit von nicht CE-gekennzeichneten Bauprodukten

Bauprodukte dürfen nach § 16b MBO – ganz grundsätzlich – verwendet werden, wenn bei ihrer Verwendung die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung während einer dem Zweck entsprechenden angemessenen Zeitdauer die Anforderungen dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erfüllen und gebrauchstauglich sind. Darüber hinaus dürfen Bauprodukte nach § 16b Abs. 2 MBO auch dann verwendet werden, wenn sie den in Vorschriften anderer Vertragsstaaten des EWR genannten technischen Anforderungen entsprechen, sofern das geforderte Schutzniveau gemäß § 3 Satz 1 MBO gleichermaßen dauerhaft erreicht wird.

§ 17 MBO regelt schließlich, ob ein Bauprodukt eines sog. Verwendbarkeitsnachweises nach §§ 18 bis 20 MBO bedarf oder nicht. Keines Verwendbarkeitsnachweises bedürfen Bauprodukte,

  • für die es Technische Baubestimmungen (MVV TB Kapitel C 2 [früher Bauregelliste A Teil 1]) nach § 85a MBO gibt und die deren Vorgaben entsprechen oder von diesen Vorgaben im Falle von Technischen Baubestimmungen nach § 85a Abs. 2 Nr. 3 MBO nicht wesentlich abweichen. Diese Bauprodukte bedürfen einer Übereinstimmungsbestätigung nach § 21 MBO, die durch Übereinstimmungserklärung des Herstellers und Kennzeichnung der Bauprodukte mittels Übereinstimmungskennzeichen (Ü-Zeichen) erfolgt.
  • für die es allgemein anerkannte Regeln der Technik gibt, die nicht in technischen Baubestimmungen nach § 85a MBO bekannt gemacht wurden, auch wenn sie von diesen abweichen, § 17 Abs. 2 Nr. 1 MBO. Diese Bauprodukte tragen kein Ü-Zeichen.
  • die von untergeordneter Bedeutung für die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen sind, § 17 Abs. 2 Nr. 2 MBO.
  • die auf einer nicht abschließenden Liste gemäß § 17 Abs. 3 MBO aufgeführt sind, die in den Technischen Baubestimmungen nach § 85a MBO enthalten ist. Hier sollen Bauprodukte aufgeführt werden, die bislang in der Liste C geführt wurden oder bislang als sogenannte „sonstige Bauprodukte“ bezeichnet wurden.

Eines Verwendbarkeitsnachweises bedürfen daher Bauprodukte,

  • für die es weder Technische Baubestimmungen noch allgemein anerkannte Regeln der Technik gibt, § 17 Abs. 1 Nr. 1 MBO;
  • die von einer Technischen Baubestimmung nach § 85a Abs. 2 Nr. 3 MBO wesentlich abweichen, § 17 Abs. 1 Nr. 2 MBO;
  • wenn eine Verordnung nach § 85 Abs. 4a MBO dies vorsieht, § 17 Abs. 1 Nr. 3 MBO.

Solche Bauprodukte bedürfen eines Verwendbarkeitsnachweises in Form einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) nach § 18 MBO oder einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) nach § 20 MBO, sofern nicht Kapitel C 3 der MVV TB (bisher Bauregelliste A Teil 2) für solche Bauprodukte ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis (abP) nach § 19 MBO genügen lässt. Diese Bauprodukte sind ebenfalls mit dem Ü-Zeichen zu kennzeichnen.

3. Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB)

Eine weitere Änderung erfolgt durch § 85a MBO („Technische Baubestimmungen“). Diese Regelung stellt eine Ermächtigungsgrundlage für eine normkonkretisierende Verwaltungs­vorschrift, die bereits erwähnte MVV TB, dar, mit der fortan die Bauwerksanforderungen konkretisiert werden. Die bisherigen produktspezifischen Anforderungen sollen über die MVV TB auf die Bauwerksebene übertragen werden. Dies betrifft bauliche Anlagen, Bauprodukte und andere Anlagen und Einrichtungen. Sie umfasst Regeln zur Standsicherheit baulicher Anlagen sowie zum Brandschutz, zum Wärmeschutz, zum Schallschutz, zum Gesundheitsschutz, zum Umweltschutz und zu den Planungsgrundlagen.

Die Technischen Baubestimmungen, die bislang in den Listen der Technischen Baube­stimmungen der Bundesländer sowie den Bauregellisten enthalten waren, werden zukünftig ausschließlich über die MVV TB bekannt gegeben. Als Technische Baubestimmungen gelten somit zukünftig ausschließlich die in der MVV TB enthaltenen Abschnitte und Anhänge sowie die hier erwähnten technischen Regeln. Diese technischen Baubestimmungen müssen von allen am Bau beteiligten Personen bei der Planung, Berechnung, Ausführung und baurechtlichen Überprüfung von baulichen Anlagen beachtet werden. Damit werden – abgesehen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik – alle Bestimmungen für die technische Bauausführung in einem Regelwerk zusammengefasst.

V. Handhabung in der Praxis

Ausgehend von der Maxime, dass das europäische Bauproduktenrecht kein Baurecht, sondern Wirtschafts- bzw. Wettbewerbsrecht darstellt und das Ziel verfolgt, Handelshemmnisse für Bauprodukte zu beseitigen, können (und müssen) die Mitgliedstaaten weiterhin nationale Anforderungen an die Sicherheit von baulichen Anlagen (Standsicherheit, Brandschutz, Schallschutz, Wärmeschutz) stellen, denn für das Sicherheitsniveau von Bauwerken bleiben die Mitgliedstaaten verantwortlich. Das europäische Bauproduktenrecht setzt voraus, dass Bauherren oder Bauunternehmen die nationalen Sicherheitsanforderungen an das Bauwerk kennen und daher auch die Bauprodukte selbst auswählen, mit denen sie diese Sicherheitsanforderungen erfüllen. Demnach werden künftig die konkreten technischen Anforderungen nicht mehr auf der Ebene der Bauprodukte, sondern auf der Bauwerksebene geregelt.

Die CE-Kennzeichnung deckt jedoch – wie bereits beschrieben – nicht diejenigen Erklärungen zum Bauprodukt ab, die von der bisher zusätzlich vorhandenen Ü-Kennzeichnung umfasst waren. Denn im Rahmen der Ü-Kennzeichnung erfolgte die ergänzende behördliche Prüfung am Maßstab nationaler gefahrenabwehrrechtlicher Bauprodukteanforderungen. Waren diese Anforderungen erfüllt und das Produkt mit dem Ü-Kennzeichen versehen, so stand fest, dass die Bauwerkssicherheit nach den in Deutschland geltenden Anforderungen bei Verwendung dieser Bauprodukte erfüllt war. Insoweit konnte von der Mangelfreiheit und der Erfüllung der bauaufsichtlichen Anforderungen eines Bauwerks ausgegangen werden.

Der Hersteller gibt mit dem CE-Kennzeichen aber eine Leistungserklärung ab, d.h. er erklärt, dass ein bestimmtes Bauprodukt die wesentlichen Merkmale verwirklichen/Anforderungen erfüllen kann. Wesentliche Merkmale sind nach der Legaldefinition des Artikel 2, Ziffer 4 BauPVO „diejenigen Merkmale des Bauprodukts, die sich auf die Grundanforderungen an Bauwerke beziehen“ (Anhang I der BauPVO). Die BauPVO legt also grundsätzlich nur ein Mindestmaß an Schutzniveau fest, das den Querschnitt der Anforderungen aller Mitgliedsstaaten abbildet. Die Leistungserklärungen enthalten jedoch keine Verwendbarkeitsnachweise und damit auch keine Verwendbarkeitsvermutung. Die Bewertung, ob das jeweilige Bauprodukt in einem bestimmten Mitgliedsstaat und einem bestimmten Bauwerk eingesetzt bzw. verwendet werden kann, ist somit nicht Gegenstand der BauPVO.

Das CE-Zeichen enthält, im großen Unterschied zum Ü-Zeichen, im Wesentlichen nur Angaben darüber, welche Merkmale geprüft, wie diese geprüft werden und welches Ergebnis bei der Prüfung herausgekommen ist. Die harmonisierten Normen legen also keine Anforderungen an die Bauprodukte selbst fest, sondern definieren nur einheitliche Prüfstandards. Denn die CE-Kennzeichen existieren allein zugunsten des freien Warenverkehrs: Sie sollen durch die Definition einheitlicher Prüfstandards gleichsam eine europaweit einheitliche und allgemeinverständliche Sprache schaffen. Keinesfalls dienen die CE-Kennzeichen der Gewährleistung von Bauwerkssicherheit. Dies ist und bleibt eine nationale Angelegenheit.

Fortan müssen die Marktteilnehmer bei der Verwendung harmonisierter Bauprodukte also den Inhalt der in der CE-Kennzeichnung enthaltenen Leistungserklärung zugrunde legen und selbst am Maßstab nationaler Anforderungen prüfen, ob mit dem jeweiligen Bauprodukt die Bauwerkssicherheit gewährleistet wird. Dies stellt Planer und Bauunternehmer vor nicht zu unterschätzende Aufgaben.

Um die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an Gebäude auch weiterhin – rechtssicher – zu gewährleisten, haben sich daher verschiedene Verbände des Baustoffhandels und der Baustoffhersteller, die Bundesarchitekten- und Bundesingenieurkammer, Verbände der Bausach­verständigen sowie der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zusammenge­schlossen und mit Datum vom 22.11.2017 eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in der die Verwendung privatrechtlicher „Anforderungsdokumente“ empfohlen wird. Diese sollen zukünftig die Leistungsmerkmale der jeweiligen Bauprodukte festlegen. Im Fokus stehen insbesondere solche harmonisierten Bauproduktnormen, die aus bauordnungs­rechtlicher Sicht nicht alle notwendigen Produkteigenschaften enthalten. Zur Erfüllung der Bauwerksanforderungen werden sie mittels Herstellererklärungen oder Gutachten nachgewiesen.

Die neugeschaffenen Anforderungsdokumente legen bereits bei Ausschreibung und Beschaffung die Merkmale fest, welche das Bauprodukt erfüllen muss, um den Bauwerksanforderungen gerecht zu werden. Das jeweilige Dokument bildet dann die Basis von Verträgen sowie Bestell- und Lieferunterlagen zur Bauausführung. Verankert ist das System mittlerweile auch in der entsprechenden Regelsetzung. So enthält die DIN 18200:2021-04 „Übereinstimmungsnachweis für Bauprodukte – Werkseigene Produktionskotrolle, Fremdüberwachung und Zertifizierung“ ein Muster für eine freiwillige Herstellererklärung. Die Norm wurde im April 2021 veröffentlicht und ermöglicht einen Übereinstimmungsnachweis für zusätzliche Eigenschaften bei harmonisierten Bauprodukten. Die Anforderungsdokumente dienen als freiwillige technische Dokumentation. Da der Bauherr weiterhin verpflichtet ist, die entsprechenden Sicherheitsanforderungen gegenüber der Bauaufsichtsbehörde nachzuweisen, wird er sich hierzu zukünftig bei harmonisierten Bauprodukten entsprechende Herstellererklärungen vorlegen lassen müssen, für deren Richtigkeit der Hersteller haftet. Aufgrund der Anforderungen an Bauwerke kann der Bauherr, vor allem aber der Bauunternehmer und Planer, gehalten sein, sich zusätzliche Eigenschaften vom Hersteller kaufvertraglich zusichern zu lassen.

 


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