Bauproduktenrecht im Überblick - Teil 1

Bauprodukte stehen angesichts exorbitant steigender Preise derzeit im Fokus einer breiten Öffentlichkeit. Ein Thema, welches dagegen noch immer ein Nischendasein fristet, ist das nicht nur für Baujuristen schwer zu durchdringende Bauproduktenrecht. Dabei gewinnt es in der Praxis immer mehr an Bedeutung und kann zur Haftungsfalle für Planer, Bauunternehmer und womöglich auch für Sachverständige werden. Anlass genug, einen grundlegenden Überblick über die komplizierte Thematik zu gebe.

I. Einleitung

Im öffentlich-rechtlichen Produktsicherheitsrecht ist zwischen dem sog. harmonisierten Bereich – also Produkten, für die Harmonisierungsregelungen der EU existieren – und dem nicht harmonisierten Bereich zu unterscheiden. Ein Bauprodukt ist grundsätzlich erst dann ein harmonisiertes Produkt, wenn dafür auf Grundlage eines Mandats der EU-Kommission durch die europäischen Normungsinstitutionen (insb. CEN) Normen entwickelt, diese von der EU-Kommission angenommen und im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurden, also für das Bauprodukt harmonisierte Normen vorliegen.

Regelungen zu Bauprodukten finden sich zunächst in der EU-Bauproduktenverordnung (BauPVO) und dem Bauproduktengesetz (BauPG) für harmonisierte Produkte sowie im Übrigen in den Landesbauordnungen der Bundesländer. Die Landesbauordnungen (vgl. beispielhaft die Art. 15 ff. BayBO oder die §§ 20 ff. BauO NRW/HBauO) schreiben vor, dass die von den obersten Bauaufsichtsbehörden der Länder durch öffentliche Bekanntmachung eingeführten technischen Regeln zu beachten sind. Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat dabei als gemeinsame von Bund und Ländern eingerichtete Anstalt des öffentlichen Rechts u.a. die Aufgabe, technische Regeln für die Planung, Bemessung und Ausführung von Bauwerken und für Bauprodukte aufzustellen. Früher geschah dies im Rahmen der sogenannten Bauregellisten (Bauregellisten A und B sowie Liste C). Mittlerweile sind diese Regelungen in der sogenannten Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) enthalten. Hintergrund der Änderung dieses Regelungsregimes ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 16.10.2014, wonach nationale bauordnungsrechtliche Zusatzanforderungen an europäisch harmonisierte Bauprodukte einen Verstoß gegen die EU-Bauproduktenrichtlinie darstellen. Infolgedessen hat die Bauministerkonferenz mit Beschluss vom 13.05.2016 eine Überarbeitung der von ihr erstellten Musterbauordnung vorgenommen und das tradierte System aus Bauregellisten, Listen Technischer Baubestimmungen, allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen etc. durch eine Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) und Bauartgenehmigungen (aBG) ersetzt bzw. ergänzt. Notwendige bauordnungsrechtliche Anforderungen werden nunmehr an das Bauwerk selbst, aber nicht mehr an das Bauprodukt gestellt; eine gleichzeitige Produktdeklaration CE‐ und Ü‐Zeichen wird es damit zukünftig nicht mehr geben.

Zum Verständnis des (öffentlich-rechtlichen) Bauproduktenrechts ist es vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und Neujustierung des Regelungsregimes durch das DIBt unerlässlich, zunächst die bis 2016 geltende Rechtslage darzustellen. Im Anschluss erfolgt ein kurzer Überblick über die erwähnte Entscheidung des EuGH sowie das novellierte nationale Bauordnungsrecht.

II. Ursprüngliche Systematik

In der bis zum 13.05.2016 geltenden Musterbauordnung gab es die Unterscheidung zwischen geregelten, nicht geregelten und sonstigen Bauprodukten sowie harmonisierten Baustoffen, über die das DIBt sogenannte Bauregellisten führte. Die geregelten Bauprodukte ergaben sich demnach aus der Bauregelliste A Teil 1. Darin wurden Bauprodukte, für die es technische Regeln gibt (geregelte Bauprodukte), die Regeln selbst, die erforderlichen Übereinstimmungsnachweise und die bei Abweichung von den technischen Regeln erforderlichen Verwendbarkeitsnachweise bekannt gemacht. Hierbei handelte es sich um sicherheitsrelevante Produkte. Die Verwendbarkeit dieser Bauprodukte ergab sich aus der Übereinstimmung mit den bekannt gemachten technischen Regeln und durch die Kennzeichnung mit dem sog. Übereinstimmungszeichen (Ü-Zeichen).


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TEIL 2


Nicht geregelte Bauprodukte, die entweder nicht der Erfüllung erheblicher Anforderungen an die Sicherheit baulicher Anlagen dienten und für die es keine allgemein anerkannten Regeln der Technik gab oder die nach allgemein anerkannten Prüfverfahren beurteilt wurden, benannte die Bauregelliste A Teil 2. Die Verwendbarkeit ergab sich aus einer bauaufsichtlichen Zulassung, einem bauaufsichtlichen Prüfzeugnis oder einer Zustimmung im Einzelfall.

Es gab zudem Baustoffe, für die europäische (sog. harmonisierte) technische Regeln galten. Über diese führte das DIBt eine Bauregelliste B. In deren Teil 1 wurden solche Produkte aufgeführt, die in Umsetzung der Bauproduktenrichtlinie in Verkehr gebracht wurden; in Teil 2 der Bauregelliste B wurden solche Produkte gelistet, die zur Umsetzung sonstiger EU-Richtlinien in Verkehr gebracht wurden. Die Produkte aus der Bauregelliste B durften verwendet werden, wenn sie den europäischen Normen entsprachen und wenn sie einen Nachweis hierüber führten. Dies ist vor allem das im Bauproduktengesetz geregelte CE-Kennzeichen und, je nach Anforderungen in der Bauregelliste B, zusätzlich das Ü-Zeichen. Letztere Handhabung war Inhalt des erwähnten EuGH-Urteils, das Anlass für die grundlegende Neuregelung des Bauproduktenrechts gab.

In die Liste C wurden nicht geregelte Bauprodukte aufgenommen, für die es weder technische Baubestimmungen noch Regeln der Technik gab, und die für die Erfüllung baurechtlicher Anforderun­gen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die sog. sonstigen Bauprodukte sind Produkte, für die es allgemein anerkannte Regeln der Technik gibt, die jedoch nicht in der Bauregelliste A enthalten sind. An diese Bauprodukte stellt die Bauordnung zwar die gleichen materiellen Anforderungen, sie verlangt aber weder Verwendbarkeits- noch Übereinstimmungsnachweise; sie sind deshalb auch nicht in der Bauregelliste A erfasst. Das DIBt nannte beispielhaft die Bauprodukte aus dem Gas-/Wasserbereich und der Elektroinstallation.

III. Urteil des Europäischen Gerichtshofs

Die Bundesrepublik in Form des DIBt hatte, wie bereits beschrieben, in der Vergangenheit in der Bauregelliste B zusätzliche Anforderungen an viele CE-gekennzeichnete (harmonisierte) Bauprodukte gestellt. Bauprodukte mussten entweder eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung des DIBt haben, oder waren nach den nationalen Prüfvorschriften der Bauregelliste A zu beurteilen und mit einer Übereinstimmungserklärung sowie dem Ü-Zeichen zu versehen. Dies begründete das DIBt mit vermeintlichen Lücken und Sicherheitsmängeln in den harmonisierten EN-Normen. Der EuGH hat dieser Praxis mit seinem bahnbrechenden Urteil vom 16.10.2014 (Rs. C-100/13) „einen Riegel vorgeschoben“. Diesem war ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen die BRD vorausgegangen, welches drei in der Landesbauordnung Baden-Württemberg enthaltene Spezifikationen betraf, nämlich

  • Rohrleitungsdichtungen aus thermoplastischem Elastomer, die einer nach der Bauregelliste A notwendigen Funktionsprüfung unterlagen,
  • Dämmstoffe aus Mineralwolle, bei denen hinsichtlich ihres Glimmverhaltens eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung gefordert wurde, sowie
  • Tore, Fenster und Außentüren, bei denen für den Bereich des Brandverhaltens nach der Bauregelliste B das Ü-Zeichen sowie der Nachweis der Anforderungen der Bauregelliste A gefordert wurde.

Die EU-Kommission und dieser folgend der EuGH sahen einen Verstoß gegen die Bauproduktenrichtlinie darin, dass die Bauregellisten zusätzliche Anforderungen an die genannten (beispielhaft ausgewählten) Bauprodukte für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung in Deutschland stellten, obwohl die Bauprodukte von harmonisierten Normen erfasst wurden und mit der CE-Kennzeichnung versehen waren. Die CE-Kennzeichnung bringe zum Ausdruck, dass ein Bauprodukt den wesentlichen Anforderungen der Bauproduktenrichtlinie genüge und als brauchbar gelte. Die Mitgliedstaaten dürfen das Inverkehrbringen und die Verwendung solcher Produkte nicht verbieten oder erschweren. Weitergehende nationale Anforderungen sind daher europarechtswidrig und unzulässig, so die Luxemburger Richter.

Auch wenn sich das Urteil des EuGH lediglich auf drei im Verfahren beispielhaft benannte Produktkategorien und auf die inzwischen nicht mehr gültige, im Jahr 2013 durch die EU-Bauproduktenverordnung (BauPVO) abgelöste Bauproduktenrichtlinie bezog, illustrierte die Entscheidung eindrücklich die strikte Bindung der Mitgliedsstaaten an die in der nun geltenden Bauproduktenverordnung geregelten Verfahren. Eine „nationale Nachregelung“, wie von der Bundesrepublik praktiziert, war damit unzulässig. Harmonisierte Bauprodukte müssen demnach in Deutschland bauordnungsrechtlich ohne besondere/zusätzliche nationale Verwendbarkeitsnachweise verwendet werden können. Es genügt dem Bauordnungsrecht, wenn das Produkt ordnungsgemäß mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist und es die geforderten bzw. deklarierten Leistungen nach der Erklärung des Herstellers tatsächlich erbringt.

IV. Neuordnung des Bauproduktenrechts

In der Folge dieses Urteils haben Bund und Länder das nationale Regelungsregime für Bauprodukte neu gestaltet, insbesondere im Hinblick auf harmonisierte Bauprodukte. Die für alle Bundesländer zur Orientierung maßgebliche Musterbauordnung (MBO) sieht nunmehr in ihrem dritten Abschnitt vor, sämtliche Produktanforderungen an harmonisierte Bauprodukte zu streichen. Die Bauregellisten wurden durch die sogenannte Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) ersetzt.

 


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