Verbraucherbauvertrag auch bei gewerkeweiser Vergabe!

OLG Hamm, Urteil vom 24.04.2021 - 24 U 198/20 BGB §§ 13, 650f Abs. 6, §§ 650i, 650k Abs. 2

Ein Verbraucherbauvertrag i.S.d. § 650i Abs. 1, 1. Alt. BGB kann auch bei gewerkeweiser Vergabe vorliegen, wenn die Beauftragung zeitgleich oder in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Erstellung eines neuen Gebäudes erfolgt, die Erstellung eines neuen Gebäudes für den Unternehmer ersichtlich ist und die Gewerke zum Bau des neuen Gebäudes selbst beitragen.*)

OLG Hamm, Urteil vom 24.04.2021 - 24 U 198/20

BGB §§ 13, 650f Abs. 6, §§ 650i, 650k Abs. 2

 

Problem/Sachverhalt

Die Anforderung einer Bauhandwerkersicherheit nach § 650f Abs. 1 BGB ist insbesondere bei Nachtragsstreitigkeiten ein beliebtes und zulässiges Druckmittel (BGH, IBR 2018, 74) des Unternehmers, wenn dieser nach einer Möglichkeit sucht, seine Leistungen einzustellen. Allerdings findet § 650f Abs. 1 BGB gem. § 650 Abs. 6 BGB keine Anwendung, wenn der Besteller ein Verbraucher ist und es sich um einen Verbraucherbauvertrag (VerbrBV) nach § 650i BGB oder um einen Bauträgervertrag nach § 650u BGB handelt. Ein VerbrBV ist gem. § 650i Abs. 1 BGB ein Vertrag, durch den der Unternehmer von einem Verbraucher u. a. zum Bau eines neuen Gebäudes verpflichtet wird. Aufgrund der Verwendung des Artikels "eines" ist umstritten, ob bei der Vergabe von Neubauarbeiten in Einzelgewerken ein VerbrBV anzunehmen ist (z. B. Messerschmidt/Voit/Lenkeit, Priv. Baurecht, 3. Aufl., BGB § 631 Rz. 23) oder nicht (z. B. Kniffka/Retzlaff, Bauvertragsrecht, 3. Aufl., § 650i Rz. 8).

Entscheidung

Nach Ansicht des OLG Hamm kann ein VerbrBV i.S.v. § 650i Abs. 1 BGB auch bei gewerkeweiser Vergabe vorliegen (s. Leitsatz). Eine Definition dessen, was unter dem "Bau eines neuen Gebäudes" zu verstehen ist, findet sich zwar im Gesetz nicht. Hintergrund der gesetzlichen Regelung ist, dass beim VerbrBV eine Risikokumulation für den Verbraucher besteht. Indes ist ein sachlicher Grund, warum der Bauherr bei gewerkeweise Vergabe weniger schutzwürdig ist als der Bauherr, der sein Haus aus einer Hand errichten lässt, schwerlich auszumachen, obwohl es erklärtes gesetzgeberisches Ziel war, den Verbraucherschutz bei der Errichtung derartiger Gebäude deutlich zu verbessern und bei enger Auslegung sich - im Vergleich zum alten Recht - eine Verschlechterung für Verbraucher bei Einzelvergabe ergäbe. Bei gewerkeweiser Vergabe ist der Bauherr gegenüber den Behörden für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften in der Verantwortung und sein finanzielles Risiko ist bei einer Gesamtbetrachtung ebenfalls schutzwürdig, gerade wenn er im Einzelfall aus finanziellen Gründen gezwungen ist, einzelne Gewerke zeitlich gestaffelt und auch an verschiedene Unternehmer zu vergeben. Zudem mag die Prüfung der finanziellen Rahmenbedingungen durch ein kreditgebendes Institut bei Einzelvergabe strenger erfolgen als im Rahmen der Finanzierung eines Bauvertrags mit einem Generalunternehmer. Auch im Hinblick auf die strukturelle informationelle Unterlegenheit ist der Bauherr bei Einzelvergabe ebenso schutzwürdig wie ein Verbraucher, der die Bauerrichtung einem Generalunter- oder Generalübernehmer überlässt. Damit wäre es wertungswidersprüchlich, die Einzelvergabe als nicht erfasst anzusehen, wohl aber die Beauftragung eines Generalunternehmers.

Praxishinweis

Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis (zu den Rechtsfolgen eines VerbrBV s. Kniffka/Retzlaff, a.a.O., Rz. 16). Streitpotenzial dürfte u. a. die Vorschrift des § 650k Abs. 2 Satz 2 BGB bergen, wonach Zweifel bei der Auslegung des Vertrags bezüglich der geschuldeten Leistung zu Lasten des Unternehmers gehen. Das kann vom Sinn und Zweck der Norm her nur dann gelten, wenn - wovon in § 650j Halbs. 1 BGB und § 650k Abs. 1 BGB ausgegangen wird - der Unternehmer die Leistungsbeschreibung erstellt hat, was aber bei einer Einzelgewerkevergabe in der Regel nicht der Fall ist (s. auch § Halbs. 2 BGB).

RA Dr. Stephan Bolz, Mannheim 

© id Verlag