Mehr Zeit, mehr Geld!

OLG Brandenburg, Urteil vom 16.06.2021 - 11 U 16/18 BGB §§ 315, 611, 631

1. Ein vor dem 01.01.2018 geschlossener Vertrag über die Erbringung von Leistungen der Sicherheits- und Gesundheitskoordination ist - sofern sich aus der getroffenen Vereinbarung nicht etwas anderes ergibt - als Dienstvertrag mit werkvertraglichen Elementen zu qualifizieren.
2. Treffen die Parteien eines SiGeKo-Vertrags keine Regelung dazu, nach welchen Grundsätzen der SiGeKo für seine Tätigkeiten vergütet wird, wenn sich auf der Baustelle Verzögerungen ergeben, enthält der Vertrag eine Lücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist.
3. Die ergänzende Vertragsauslegung kann ergeben, dass dem SiGeKo ein einseitiges, nach billigem Ermessen auszuübendes Leistungsbestimmungsrecht für die ihm zu gewährende Vergütung zusteht.

OLG Brandenburg, Urteil vom 16.06.2021 - 11 U 16/18

BGB §§ 315611631

 

Problem/Sachverhalt

Der Auftragnehmer (AN) ist für den Auftraggeber (AG) als SiGeKo für den Bau eines Flughafens tätig. Grundlage für die Beauftragung ist ein Angebot des AN, das einen bestimmten Leistungszeitraum vorsieht. Die Eröffnung des Flughafens verschiebt sich, so dass der AN länger tätig bleibt. Hierfür stellt er noch während der Bauzeit Nachtragsangebote jeweils zu einem Pauschalhonorar. Der AG beauftragt die Nachträge nicht, leistet jedoch für einige Monate Abschläge auf die entsprechenden Abrechnungen des AN. Mit seiner Klage begehrt der AN u. a. Resthonorar für seine längere Tätigkeit auf Grundlage der von ihm unterbreiteten Angebote.

Entscheidung

Mit Erfolg! Das Gericht spricht dem AN nicht nur dem Grunde nach einen Anspruch auf Mehrvergütung für den längeren Ausführungszeitraum zu, sondern überlässt ihm über ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB sogar die Festlegung der Höhe des Honorars. Hierzu gelangt das Gericht im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung. Es meint, dass dies dem Willen der Parteien entsprochen hätte, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass der AN länger tätig sein würde.

Praxishinweis

Das Gericht qualifiziert den SiGeKo-Vertrag nach "altem" Recht zunächst als Dienstvertrag mit werkvertraglichen Elementen. Das entspricht der herrschenden Rechtsauffassung. Unter dem "neuen" Recht ab 2018 wird der Vertrag wegen seiner stark erfolgsbezogenen Elemente zu Recht überwiegend als Werkvertrag qualifiziert. Streitig ist, ob er ausreichend "bauwerksbezogen" ist, um darüber hinaus als Architekten- und Ingenieurvertrag i.S.d. § 650p Abs. 1 BGB qualifiziert zu werden (verneinend z. B. Fuchs/Berger/Seifert, HOAI-Kommentar, 2. Aufl., § 650p Rz. 57). Dass das Gericht dem AN für seine längere Tätigkeit einen Anspruch auf Mehrvergütung zuspricht, überrascht nicht. Die Tätigkeit des SiGeKo ist zu einem großen Teil (Beratung, Koordinierung, Überwachung) zeitbezogen, so dass eine längere Tätigkeit grundsätzlich auch mehr Geld bedeuten muss. Schwierig ist, wie das zusätzliche Honorar der Höhe nach zu bemessen ist. Hier überrascht die Lösung des Gerichts, wenn es dem AN insoweit ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gem. § 315 BGB zubilligt. Denn insoweit lag schlicht keine Einigung zwischen den Parteien vor. § 315 BGB ermöglicht aber lediglich das Fehlen einer Vertragslücke, nicht das Überbrücken eines bewussten Einigungsmangels (Würdinger, in: MüKo BGB, 8. Aufl., § 315 BGB Rz. 2). Zudem werden für Dienst- und Werkverträge § 612 Abs. 2, § 632 Abs. 2 BGB grundsätzlich als vorrangig angesehen (vgl. BGH, IBR 2006, 1398 - nur online). Richtiger wäre es also wohl gewesen, die "übliche Vergütung" zu ermitteln. Dann wäre die Sache allerdings noch nicht entscheidungsreif gewesen.

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Stefan Bruinier, Hamburg

© id Verlag

 


 

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