Preissteigerungen bei Baustoffen und ihre Auswirkungen auf die Bauverträge

In den letzten Wochen und Monaten waren Fragestellungen um die Baustoffverknappung und damit verbundene Preissteigerungen ein häufiges Thema. Seit Mitte des Jahres 2020 steigen die Preise für Baustoffe enorm. Besonders betroffen sind dabei Stahl, Holz, Bitumen, Kupfer und sämtliche Bereiche der Bauchemie – wie Dämmmaterial und Abdichtungen. So sind bspw. die Preise für Dachlatten im Juni 2021 im Vergleich zum Juni 2020 um 68 % gestiegen, für Betonstahlmatten um 48 % und für Bitumen aus Erdöl um 56 %. Das wird in der Baupraxis zum Problem. Wer trägt am Ende die Preissteigerung?

I. Gesetzlicher Grundsatz: pacta sunt servanda

 

Wir alle kennen den Grundsatz pacta sunt servanda: Verträge sind zu erfüllen. Dies gilt nicht nur für die Leistung, sondern natürlich auch für die Gegenleistung, also den Preis. Grundsätzlich ist damit jeder vereinbarte Preis ein Festpreis. Es verwundert daher die immer wieder einmal angetroffene Klausel in Bauverträgen, dass Preise Festpreise seien. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetz- soweit eben kein Änderungstatbestand eingreift. Sog. Festpreisklauseln werden daher idR als AGB-widrig angesehen, da sie etwaige Änderungstatbestände ausschließen würden. Hier sind wir auch schon am Kern des Problems: Gibt es denn überhaupt Änderungstatbestände?

Neben der Vertragstreue ist auch der Erhalt des Äquivalenzverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ein zentraler Grundgedanke unseres Rechtssystems. Diese beiden Pole, Rechtssicherheit auf der einen Seite und Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite, gilt es in Ausgleich zu bringen. Hierzu der BGH:

„Im Ausgangspunkt ist […] ein Anpassungsbedürfnis anzuerkennen, das bei Vertragsschluss bestehende Verhältnis von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu halten. Daran haben beide Vertragsparteien ein Interesse: Dem Verwender geht es darum, den Anstieg der Gestehungskosten seiner Leistung oder den Wertverfall der Gegenleistung auszugleichen, und der Vertragspartner möchte verhindert wissen, dass der Verwender bei Vertragsschluss bereits allzu hohe Risikozuschläge einkalkuliert.“

Wie aber soll dieses Verhältnis von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht gehalten werden?

 

II. Vertragsauslegung

 

Dabei ist der Vertrag stets vorrangig zu untersuchen. Der Vertragsinhalt geht der bloßen Geschäftsgrundlage vor, weil nur der Vertragsinhalt der Auslegung zugänglich ist und eben nicht die außerhalb des Vertragsinhalts stehenden Umstände der Geschäftsgrundlage. Die Vertragsparteien können sich daher nicht auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen, wenn der Vertrag selbst für die Umstände, welche die Geschäftsgrundlage beeinträchtigen, eine Regelung bereithält. Solche vertraglichen Regelungen schließen die Annahme eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage tatbestandlich aus. Enthält der Vertrag keine ausdrückliche – und wirksame – Regelung, wie mit Preissteigerungen von Baustoffen umgegangen werden soll, ist er zunächst auszulegen.

Gem. § 157 BGB  sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Es ist gem. § 133 BGB  der wirkliche Wille der Erklärung zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks festzuhalten.

Der BGH hat in der Entscheidung Wasserhaltung II eine interessante Konstruktion gewählt. Trotz des eindeutigen Wortlauts der Leistungsbeschreibung, wonach die gesamte Wasserhaltung geschuldet ist, ergebe die Auslegung, dass die Formen der Wasserhaltung, die nach der konkreten Sachlage völlig ungewöhnlich und von keiner Seite zu erwarten waren nicht geschuldet seien. Durch diesen Kunstgriff kam der BGH zu einer Vereinbarungslücke.

„Erweist sich bei dieser Auslegung die Leistungsbeschreibung hinsichtlich der hier streitigen Maßnahmen als unvollständig, [..] dann sind sie nicht Gegenstand der unmittelbar vertraglich geschuldeten Leistung, können also im VOB-Vertrag nur als zusätzliche Leistungen geschuldet sein.“

Wird also die völlig unerwartete, nicht geschuldete Leistung erforderlich und vom Auftraggeber entsprechend gefordert, stellt dies eine geänderte bzw. zusätzliche Leistung dar, für die ein Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung besteht. Das ist gewohntes Terrain der §§ 2 Abs. 5  und 6 VOB/B  bzw. §§ 650 b  und c BGB des neuen Bauvertragsrechts.

Die Argumentationskette der Entscheidung „Wasserhaltung II“ passt unmittelbar jedoch nur auf die Frage der geschuldeten Leistung. Die hier interessierenden Fälle der gestiegenen Baustoffpreise betreffen jedoch bei unveränderter Leistung die geschuldete Gegenleistung. Im Ergebnis ist der gedankliche Ansatz jedoch identisch. Der BGH nahm an, dass „völlig ungewöhnliche und von keiner Seite zu erwartende“ Leistungen nicht geschuldet seien. Diese Überlegung gründet auf der Annahme, dass dem Auftragnehmer kein unzulässiges Wagnis aufgebürdet werden dürfe und daher nur vorhersehbare Leistungen von der Leistungsbeschreibung erfasst seien. Im Ergebnis geht es aber doch um den mit der Leistungserbringung verbundenen Aufwand, m.a.W. die damit verbundenen Kosten. Die Erbringung der völlig unerwarteten Wasserhaltungsmaßnahmen an sich ist ja nicht das Problem, sondern die dafür vom Auftragnehmer aufzuwendenden Kosten. Die Situation ist daher durchaus damit vergleichbar, dass die Leistung zwar unverändert bleibt, die dafür vom Auftragnehmer aufzuwendenden Kosten jedoch in einem „völlig ungewöhnlichen und von keiner Seite zu erwartenden“ Maße steigen.

Es wäre nur konsequent anzunehmen, dass in diesen Fällen auch der Preis trotz des klaren Wortlauts nicht vereinbart ist.

Wie aber ist diese Lücke dann zu schließen? Eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1984 beschäftigte sich mit eben dieser Frage, wie die Lücke infolge einer unwirksamen Preisvereinbarung zu schließen ist. Dabei ging es darum, dass die Parteien eines Pkw Kaufvertrages eine sogenannte Tagespreisklausel vereinbart hatten. Danach sollte das Fahrzeug, wenn es denn vier Monate nach Vertragsschluss geliefert werden sollte, zu dem am Tag der Lieferung gültigen Preis verkauft werden. Diese Tagespreisklausel hielt der BGH wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG (§ 307 Abs. 1  u. Abs. 2 BGB  n.F.) für unwirksam.

 

Stefan Reichert, München 

 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Preissteigerungen bei Baustoffen und ihre Auswirkungen auf die Bauverträge " von Stefan Reichert erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2022, 691 - 697 (Heft 5). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.