Ein Plädoyer für die Abschaffung der Abnahme im Werkvertragsrecht

„Warum gehört die Abnahme im Werkvertrag überhaupt zu den Hauptpflichten, obwohl sie im Herstellungsprozess keine Rolle spielt und im Normalfall erst nach der Fertigstellung des Gewerks erfolgt,” fragt Rechtsanwalt Dr. Joachim Muffler in seinem Plädoyer für die Abschaffung der Abnahme im Werkvertragsrecht. Sachlich und pointiert stellt Muffler darin die derzeitige Situation dar, liefert einen kurzen historischen Abriss und zeigt die wesentlichen Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten auf (eine Liste, die sich dem Autor zufolge fast beliebig fortsetzen ließe). Im zweiten Teil seines engagierten Plädoyers formuliert der Autor konkrete Lösungsvorschläge, wie das Werkvertragsrecht auch ohne Abnahme funktionieren könnte.

I. Bedeutung der Abnahme als vertragliche Hauptpflicht

Die Abnahme ist neben der Herstellungspflicht und der Zahlungspflicht die dritte vertragliche Hauptpflicht im Werkvertragsrecht.1  Sie ist gewissermaßen die Bestätigung des Auftraggebers für die erfolgte Vertragserfüllung des Schuldners. Im Gegensatz etwa zum Kaufrecht knüpft das Gesetz in § 641 BGB die Fälligkeit des Werklohns im Werkvertragsrecht nicht an die Übergabe der geschuldeten Leistungen, sondern erfordert mit der Abnahme eine ausgesprochene Billigung des hergestellten Werks durch den Besteller.

So gesehen geht es also um eine Mitwirkungshandlung des Auftraggebers bei der Erfüllung und Durchführung eines Werkvertrages. Die als Hauptleistung ausgebildete Abnahme ist aber nicht nur Voraussetzung für die Fälligkeit der Vergütung, außerdem ist sie bekanntlich der maßgebliche Zeitpunkt für den Beginn der Verjährungsfrist für Mängelansprüche (§ 634a Abs. 2 BGB ) und den Gefahrübergang (§ 644 BGB ).

Es gibt eine Reihe anderer Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers bei der Herstellung eines Gewerks, wie z.B. die Zurverfügungstellung des Grundstücks, der Planung und aller möglichen Informationen, die für die Herstellung der Leistungen erforderlich sind.2  Das sind aber nur Mitwirkungshandlungen auf dem Weg zur ordnungsgemäßen Herstellung des Gewerks und stellen keine vertraglichen Hauptpflichten dar. Freilich kann die Verletzung solcher Mitwirkungshandlungen nach § 642 BGB einen Entschädigungsanspruch des Auftragnehmers auslösen oder zum Ausspruch einer Kündigung gem. § 643 BGB berechtigen.

Die Rechtsprechung und herrschende Meinung in der Literatur geht auch nach Einführung der Abnahmefiktion in § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB  von der Fortgeltung des zweigliedrigen Abnahmebegriffs aus, wonach die körperliche Entgegennahme des Werks und die Billigung als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung erforderlich sind.3  Im Sinne eines eingliedrigen Abnahmebegriffs wird nach anderer Ansicht von einigen Autoren allein auf die Billigung des Gewerks im vorgenannten Sinne abgestellt,4  von einem anderen Teil auch nur auf die Übernahme als körperliche Entgegennahme des Werks.5

Allerdings fragt es sich, warum die Abnahme im Werkvertrag überhaupt eine Hauptpflicht sein soll, obwohl sie im Herstellungsprozess keine Rolle spielt und im Normalfall erst nach der Fertigstellung des Gewerks erfolgt. Sie steht am Ende des Produktionsprozesses, ist allenthalben die Bestätigung der „ordnungsgemäßen“ Leistungserbringung, hat aber mit der Herstellung selbst nichts zu tun.

II. Historischer Hintergrund

Historischer Hintergrund der Einführung der Abnahme als vertragliche Hauptpflicht des Auftraggebers war es, dem Auftragnehmer Gewissheit darüber zu verschaffen, ob der Auftraggeber das von ihm hergestellte Werk als vertragsgemäß anerkennt. „Eine solche Verpflichtung des Bestellers sei durch das Interesse des Uebernehmers geboten, da es nicht angehe, daß dieser auf unbestimmte Zeit darüber in Ungewißheit bleibe, ob das Werk als vertragsgemäß anerkannt werde. Mit dieser Verpflichtung sei ohne Weiteres für den Besteller die Nothwendigkeit gegeben, die Vertragsmäßigkeit des Werkes zu prüfen“.6

Und in den Motiven zur Abnahme in § 640 BGB  ist zu lesen: „An sich kann das juristische Wesen des Rechtsgeschäftes der Billigung nur darin gefunden werden, daß der Besteller die gehörige Erfüllung des Vertrages durch den Uebernehmer anerkennt“.7

Bei diesen Regelungen hatte der Gesetzgeber nicht komplexe Bauvorhaben mit vielfältigsten Baumaterialien im Blick, sondern die damals noch viel üblichere individuelle Herstellung von Verbrauchsgütern. Für diese bestand ein durchaus anerkennenswertes Interesse des Werkunternehmers, dass der Besteller die Ordnungsgemäßheit der Herstellung, etwa des neuen Maßanzuges, prüft und billigt oder missbilligt. Damit dürfte der zweigliedrige Abnahmebegriff durchaus der seinerzeitigen gesetzgeberischen Intention entsprechen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang übrigens der Umstand, dass der Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung im Jahre 2002 die Anwendung des Kaufrechts zu Lasten des Werkvertragsrechts ausgedehnt hat. Für eine Vielzahl von individuell hergestellten Gegenständen gilt heute nicht mehr Werkvertragsrecht, sondern Kaufrecht. Für alle diese früher abzunehmenden Produkte ist heute die kaufrechtliche Übergabe maßgeblich und ausreichend. Auf eine ausdrückliche Billigung des Produkts und seiner ordnungsgemäßen Herstellung kommt es für die Fälligkeit der Vergütung nicht mehr an. Und wenn man die Frage stellt, ob für die vielen Millionen früherer Gewerke und heutiger Kaufgegenstände irgendjemand die Abnahme vermisst, lautet die einfache Antwort: nein.

III. Der mit der Abnahme überforderte Auftraggeber und die Hilfskonstruktionen der Rechtsprechung

Machen wir uns nichts vor, der Auftraggeber ist heute mit der von ihm erwarteten Beurteilung komplexer Werkleistungen ohne Hinzuziehung von Fachleuten in der Regel völlig überfordert. Und selbst die Fachleute streiten sich bekanntlich häufig über die Frage der ordnungsgemäßen Ausführung, von der schieren Unmöglichkeit der Überprüfung verdeckter Teile der Gewerke ganz zu schweigen. Erst recht gilt dies für den Käufer einer Wohnung in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum, mit dessen Herstellung er nichts zu tun hat.

Die „Billigung“ des Gewerks durch den Auftraggeber im Allgemeinen, oder den Käufer einer Eigentumswohnung im Besonderen, sagt über dessen wahren Zustand und die Ordnungsgemäßheit der Ausführung nicht das Geringste. Ansonsten müssten sich Anwälte und Gerichte nach einer vom Auftraggeber erklärten Abnahme in Bauprozessen nicht so häufig mit Mängeln beschäftigen. Und selbst ein Sachverständiger kann die Beschaffenheit von Bauleistungen im Rahmen der Abnahme häufig nicht vollständig beurteilen, weil viele Leistungen ohne zerstörende Eingriffe nicht mehr geprüft werden können. Warum also sollen die Abnahmewirkungen und insbesondere die Fälligkeit der Vergütung des Auftragnehmers davon abhängen, dass der Auftraggeber oft ins Blaue hinein eine derartige Erklärung, oder besser gesagt Unwissenheitserklärung abgibt?

 


- Ende des Auszugs -


Der vollständige Aufsatz „Ein Plädoyer für die Abschaffung der Abnahme im Werkvertragsrecht" erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2020, 703-711 (Heft 5)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.