Behinderung: Auftragnehmer einmal weg – immer weg?

In der Praxis sind Änderungen der vertraglich vereinbarten Bauzeit durch Behinderungen an der Tagesordnung. Dies führt dazu, dass vertraglich vereinbarte Ausführungsfristen oftmals nicht eingehalten werden und der Auftragnehmer die Leistung nicht innerhalb der Vertragsfristen ausführen kann.

1. Beispielsfall zur Einführung

Die Problematik soll an nachfolgendem Beispielsfall verdeutlicht werden:

Die Parteien vereinbaren, dass der Auftragnehmer am 01.05. mit seiner Leistung beginnen und diese am 31.07. fertig stellen soll. Damit der Auftragnehmer seine Leistung ausführen kann, benötigt er vom Auftraggeber die Ausführungsplanung, die dieser bis Ende April übergeben soll. Diese ist unvollständig und darüber hinaus sind Vorleistungen anderer Auftragnehmer, auf denen der Auftragnehmer aufbauen muss, Anfang Mai noch nicht fertig gestellt. Dies hat zur Folge, dass der Auftragnehmer mit seiner Leistung nicht zum vertraglich vereinbarten Ausführungsbeginn anfangen kann. Der Auftragnehmer ist zu diesem Zeitpunkt leistungsbereit und bietet dem Auftraggeber seine Leistung an. Die vollständige Ausführungsplanung wird dem Auftragnehmer erst Mitte August übergeben. Zu diesem Zeitpunkt sind auch erst die Vorleistungen, auf denen er aufbauen soll, fertig gestellt. Der Auftragnehmer befindet sich jedoch zu diesem Zeitpunkt in seinem Betriebsurlaub, der jedes Jahr um die gleiche Zeit stattfindet. Für den Monat September hat der Auftragnehmer bereits einen Folgeauftrag zu bearbeiten, den er Mitte April angenommen hat. Mitte Juni wird ihm ein weiterer Folgeauftrag angeboten, dessen Ausführungszeitraum im Oktober liegen soll. Der Auftraggeber fordert den Auftragnehmer Mitte August auf, mit der Ausführung der Leistung ab dem 01.09. zu beginnen. Der Auftragnehmer wendet ein, er habe bereits zwei Folgeaufträge zu bearbeiten und könne daher erst ab dem 01.11. mit der Ausführung seiner Leistung beginnen.

Dies ist für den Auftraggeber misslich und er fragt sich, ob er gegenüber dem Auftragnehmer einen Anspruch hat, dass dieser früher mit der Ausführung seiner Leistungen beginnen muss.

2. Annahmeverzug des Auftraggebers

Der Auftragnehmer ist mit der Erbringung seiner Leistung ab dem 01.05. behindert, da er keine vollständigen Pläne erhalten hat und die Leistungen der Vorunternehmer nicht fertiggestellt sind. Dies bedeutet, dass sich der Auftraggeber seit dem 01.05. in Annahmeverzug befindet, da der Auftragnehmer die Erbringung seiner Leistung dem Auftraggeber angeboten hat. Der Annahmeverzug ist erst beendet, wenn der Auftragnehmer auf der Baustelle wieder (störungsfrei) arbeiten kann. Dies ist in dem Beispielsfall erst Mitte August der Fall, zu diesem Zeitpunkt kann die vertraglich vereinbarte Ausführungsfrist jedoch bereits nicht mehr eingehalten werden.

Die Pflicht zur Durchführung der Leistungen des Auftragnehmers bleibt trotz Annahmeverzugs des Auftraggebers weiter bestehen. 1 Diese Pflicht besteht auch dann, wenn die ursprünglich vereinbarten Vertragsfristen durch den Annahmeverzug bereits abgelaufen sind. Der Auftragnehmer bleibt daher auch nach Ablauf der vereinbarten Vertragsfristen verpflichtet, seine Leistung zu erbringen und das geschuldete Werk herzustellen. Der Vertrag befindet sich während der unterlassenen und für die Fortsetzung der Arbeiten erforderlichen Mitwirkungen des Auftraggebers in einer Art „Schwebezustand“. Während dieser Zeit muss sich der Auftragnehmer leistungsbereit halten, da er den bestehenden Vertrag nach wie vor erfüllen muss. Während der „Stillstandszeit“ ist der Auftragnehmer nach der gesetzlichen Konzeption über die Vorschrift des § 642 BGB  „geschützt“. 2  Diese Vorschrift schafft den angemessenen finanziellen Ausgleich für die Verzögerung bei fortbestehender Vertragspflicht des Auftragnehmers, das Werk abnahmereif fertig zu stellen. Der Auftragnehmer erhält während der gesamten Dauer des Annahmeverzugs seine Vorhaltekosten ersetzt. 3  Dies gilt auch dann, wenn die vertraglich vereinbarte Bauzeit kürzer ist als der Annahmeverzug. Diese Rechtsfolge ergibt sich daraus, dass der Vertrag durch den Annahmeverzug nicht beendet wird und der Auftragnehmer weiter verpflichtet ist, seine Leistungen vorzuhalten und zu erbringen. Im Beispielsfall kann der Auftragnehmer daher bis Mitte August seine Vorhaltekosten vom Auftraggeber ersetzt bekommen.

3. Zwischenaufträge während des Annahmeverzugs

In der Praxis drängen Auftraggeber ihre Auftragnehmer während der Dauer des Annahmeverzuges häufig dazu, andere Aufträge anzunehmen, um die Vorhaltekosten, die sie dem Auftragnehmer nach § 642 BGB  bezahlen müssten, zu reduzieren. Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 642 Abs. 2, 2. Alt. BGB  lässt sich eine generelle Pflicht des Auftragnehmers während der Dauer des Annahmeverzugs Zwischenaufträge annehmen zu müssen, nicht ableiten. In § 642 Abs. 2, 2. Alt. BGB  ist geregelt, dass sich die Höhe der Entschädigung danach bestimmt, was der Auftragnehmer durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die anderweitige Einsatzmöglichkeit auf einem so genannten „echten Füllauftrag“ beruht, also auf einem Auftrag, der nur wegen des Annahmeverzugs angenommen und ausgeführt werden kann. Das Kriterium des anderweitigen Erwerbs ist im Rahmen von § 642 BGB  eigenständig und nicht in Anlehnung an § 648 Satz 2 BGB  auszulegen, da die der Vorschrift des § 642 BGB  zugrundeliegende Interessenlage im Hinblick auf die spätere Ausführung der Leistung eine andere ist als diejenige bei der freien Kündigung. 4

Es ist daher stets eine Frage des Einzelfalles, ob der Auftragnehmer während dieses Zeitraums seine Produktionsmittel auf einer anderen Baustelle einsetzen muss, um seine Vorhaltekosten zu reduzieren und hierdurch den Schaden des Auftraggebers zu reduzieren. Dies hängt entscheidend von der Prognose der Dauer des Annahmeverzuges ab. Diese Prognoseentscheidung ist vom Auftraggeber zu treffen, da aus dessen Sphäre die Verzögerung stammt. Diesen muss der Auftragnehmer zunächst über die Möglichkeit des anderweitigen Einsatzes der Produktionsmittel informieren. Dann muss der Auftraggeber zeitnah entscheiden, ob der Auftragnehmer seine Produktionsmittel weiter vorhalten soll oder nicht. Kommt der Auftraggeber dieser Kooperationsentscheidung nicht nach, kann dem Auftragnehmer nicht zugemutet werden, dass er seine Produktionsmittel anderweitig einsetzt und einen anderen Auftrag annimmt. 5  

Er muss sich nämlich bezüglich der Tätigkeiten auf der Ursprungsbaustelle grundsätzlich leistungsbereit halten. Ihm kann ebenfalls nicht zugemutet werden, einen Auftrag anzunehmen, bei dem unklar ist, ob er ihn während der voraussichtlichen Dauer des Annahmeverzugs abarbeiten kann. Hierdurch könnte er sich ggf. Schadensersatzansprüchen des Folgeauftraggebers ausgesetzt sehen, sollte er dessen Auftrag zugunsten der Ursprungsbaustelle abbrechen müssen. Alternativ könnte ihn der ursprüngliche Auftraggeber auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, sollte er den Folgeauftrag abarbeiten wollen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Störung auf der Ursprungsbaustelle aus der Sphäre des Auftraggebers stammt (hierzu sogleich).

Können während der voraussichtlichen Dauer des Annahmeverzuges zusätzliche Aufträge bearbeitet werden bzw. die Produktionsmittel kurzfristig wieder abgezogen werden, ist der Auftragnehmer aufgrund seiner Schadensminderungspflicht, die in § 254 BGB  normiert ist, jedoch gehalten andere Aufträge anzunehmen. Ist die Prognose des Auftraggebers bezüglich der Dauer des Annahmeverzugs unzutreffend und könnte die ursprüngliche Baustelle deutlich früher wieder besetzt werden, gehen etwaige Fehleinschätzungen zu Lasten des Ursprungsauftraggebers. 6 Der Auftragnehmer darf also in dieser Situation den Zwischenauftrag fertig stellen.

4. Wiederaufnahmepflicht durch den Auftragnehmer

Die Leistungspflicht besteht wie dargelegt trotz des Annahmeverzugs weiterhin, daher ist der Auftragnehmer grundsätzlich verpflichtet, seine Leistungen auf der Ursprungsbaustelle wieder aufzunehmen. Die Frage ist allerdings, welcher Zeitraum ihm hierfür eingeräumt werden muss. Auf der einen Seite könnte er verpflichtet sein, seine Leistung unmittelbar nach Beendigung des Annahmeverzugs des Auftragnehmers wieder aufnehmen zu müssen. Auf der anderen Seite stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob er einwenden kann, dass er zu diesem Zeitpunkt keine Zeit habe, weil er bereits Folgeaufträge angenommen hat, die er abarbeiten muss. Er könnte auch durch den seit längerem angesetzten Betriebsurlaub oder andere Umstände wie die behördliche Anordnung von Quarantänemaßnahmen daran gehindert sein, seine Leistung unmittelbar nach Beendigung des Annahmeverzugs wieder auszuführen.

Zunächst ist klarzustellen, dass der Auftragnehmer auch nach Eintritt einer Behinderung oder Unterbrechung verpflichtet bleibt, die Arbeiten an der Ursprungsbaustelle weiterzuführen und die Erstellung des Objekts zu fördern und voranzutreiben. In dem einleitend genannten Beispielsfall ist der Annahmeverzug durch den Auftraggeber erst Mitte August beendet. Zu diesem Zeitpunkt sind die ursprünglich vereinbarten Ausführungsfristen bereits abgelaufen und es kann nicht mehr auf den vereinbarten Terminplan zurückgegriffen werden, da dieser mittlerweile obsolet ist.

Spezifische Regelungen zu der Frage, zu welchem Zeitpunkt der Auftragnehmer verpflichtet ist, die Arbeiten an der Ursprungsbaustelle wieder aufzunehmen, existieren weder im gesetzlichen Bauvertragsrecht noch im Werkvertragsrecht. In der VOB/B (siehe unten) werden in § 6 Abs. 3 nur Teilfragen geregelt. Es ist daher auf die allgemeinen gesetzlichen Wertungen und insbesondere auf die Vorschriften der §§ 271 , 286 BGB  zurück zu greifen.

5. Leistungszeit

In § 271 Abs. 1 BGB  ist geregelt:

„Ist eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch den Umständen zu entnehmen, so kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen, der Schuldner sie sofort bewirken.“

In obigem Beispielsfall ist die Leistung nicht mehr bestimmt. Die ursprünglich vereinbarten Vertragsfristen, das heißt der Beginntermin und der Fertigstellungstermin sind längst abgelaufen. Ob die Leistungszeit vorliegend aus den Umständen des Vertrages zu entnehmen ist, erscheint in dieser Situation fraglich. Aus den vereinbarten Terminen lässt sich lediglich die geplante Ausführungsdauer ableiten, nicht jedoch der Beginntermin. Dieser lässt sich auch nicht aus den Umständen entnehmen. Ab wann der Auftragnehmer verpflichtet ist, die Ursprungsbaustelle wieder zu besetzten, bestimmt sich daher nach der Auslegung des Begriffes „sofort“ in § 271 Abs. 1 BGB . Im Werkvertragsrecht kann die Leistungspflicht des Auftragnehmers nicht fällig werden, bevor die zur Herstellung des Werkes erforderliche Zeit nicht verstrichen ist. 7

Die sofortige Fälligkeit des Anspruchs ist mit einem objektiven Maßstab näher zu beschreiben. 8 Danach hat der Schuldner die Leistung so schnell wie möglich zu erbringen. Zwar sind hierbei die für jeden Schuldner erforderlichen Vorbereitungshandlungen einzurechnen, nicht aber besondere Erschwernisse, die speziell für den im Einzelfall betroffenen Schuldner vorliegen. 9 Anders als bei der Begriffsbestimmung des „unverzüglichen“ Handelns in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB  geht es bei der sofortigen Leistungspflicht nicht um ein mit Verschuldenselementen aufgeladenes subjektiv begründbares Zögern, sondern allein um die objektiv erforderliche, schnellst mögliche Leistungserbringung. 10 Welcher Zeitraum oder welcher konkrete Zeitpunkt danach als „sofort“ anzusehen ist, kann nur unter Berücksichtigung der geschuldeten Leistung beantwortet werden.

Faktische Vorbereitungshandlungen die zur Herstellung des geschuldeten Werks erforderlich sind, führen ohne Weiteres zu entsprechenden Verzögerungen und hindern nicht die sofortige Erfüllung, sofern sie ihrerseits zügig und nach objektivem Maßstab so schnell als möglich erledigt werden. 11  „Sofort“ leistet daher nur, wer innerhalb jenes Zeitraums tätig wird, der objektiv (nach den Maßstäben der Verkehrsanschauung) für die Vorbereitung der geschuldeten Leistung und für die Entfaltung der Leistungsaktivität generell erforderlich ist. 12  Eine Überlegungsfrist wird dem Auftragnehmer im Rahmen des § 271 BGB  nicht zugebilligt.13

Welche Folgen ergeben sich aus der Definition des Begriffes „sofort“ nun für den vorliegenden Beispielsfall. Kann der Auftragnehmer einwenden, dass er nicht unmittelbar nach Beendigung des Annahmeverzugs beginnen kann, da er sich in seinem Betriebsurlaub befindet bzw. bereits Folgeaufträge angenommen hat, die ihm die Leistungserbringung auf der Ursprungsbaustelle erst wieder im November ermöglichen.

  • Eine einseitige Festlegung durch den Auftraggeber mit der Leistung zu beginnen, reicht nicht aus.
  • Die Argumentation des Auftragnehmers, dass er sich im August in seinem üblichen Betriebsurlaub befindet, kann über § 271 BGB  nicht berücksichtigt werden, da es sich hierbei um eine Erschwernis handelt, welche für den im Einzelfall betroffenen Schuldner vorliegt und welche nicht berücksichtigt werden kann, da es sich insoweit um ein subjektives Element handelt.
  • Ob Folgeaufträge im Rahmen des § 271 BGB  auf objektiver Ebene und damit bereits bei der Frage der Fälligkeit zu berücksichtigen sind, ist fraglich und könnte mit der Wertung der Vorschrift des § 642 Abs. 2, 2. Alt. BGB  zusammenhängen. In dieser Norm ist geregelt, dass sich die Höhe der Entschädigung danach bestimmt, was der Auftragnehmer durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann. Bereits aus dem Wortlaut des § 642 Abs. 2, 2. Alt. BGB  lässt sich eine Verpflichtung des Auftragnehmers, Folgeaufträge anzunehmen jedoch nicht herleiten. Der Auftragnehmer ist im Gegenteil grundsätzlich verpflichtet, sich während der gesamten Dauer des Annahmeverzuges leistungsbereit zu halten. Es ist daher eine Frage des konkreten Einzelfalles, ob der Auftragnehmer aufgrund der Schadensminderungspflicht zusätzliche Aufträge annehmen sollte. Dies hängt – wie bereits ausgeführt – von der Prognose des Auftraggebers über den Zeitraum des voraussichtlichen Annahmeverzuges ab. Da es sich auch hierbei wieder um eine Frage des Einzelfalles handelt und diese bei der Frage der Fälligkeit nach § 271 BGB  grundsätzlich nicht zu berücksichtigen ist, spielen auch Folgeaufträge auf der objektiven Ebene des § 271 BGB  keine Rolle und der Auftragnehmer ist verpflichtet, „sofort“ seine Leistungen zu erbringen und kann auf dieser Ebene nicht einwenden, dass er Folgeaufträge habe und er daher die Ursprungsbaustelle nicht bedienen kann.
  • Die behördliche Anordnung von Quarantäne kann nur dann berücksichtigt werden, wenn ein Fall von höherer Gewalt vorliegt.

Dem Auftragnehmer muss somit nur ein gewisser Zeitpuffer als Vorlauf für den Beginn seiner Leistung eingeräumt werden. In dem eingangs aufgeführten Beispielsfall ist der Auftragnehmer also etwa Anfang September verpflichtet, seine Leistungen auf der Ursprungsbaustelle auszuführen.

 

Rechtanwältin Dr. Grete Langjahr


- Ende des Auszugs -

Der Aufsatz ist aus einem Vortrag hervorgegangen, den die Autorin im Rahmen der 56. Baurechtstagung am 6. November 2020 gehalten hat. .

Der vollständige Aufsatz „Behinderung: Auftragnehmer einmal weg – immer weg? von Rechtanwältin Dr. Grete Langjahr erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2021, 411 - 419, Heft 3). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.