Straßenbaulastträger haftet für mangelhafte Reinigung durch Bauunternehmer!

OLG Schleswig, Urteil vom 26.11.2020 - 7 U 61/20 BGB § 249 Abs. 1, § 839 Abs. 1; GG Art. 34

Die Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers für den Bereich einer Baustelle kann nicht vollständig auf die bauausführende Firma übertragen werden. Es verbleiben eigene Aufsichts- und Überwachungspflichten.*)

Problem/Sachverhalt

M befährt mit seinem Motorroller eine Landesstraße. Beim Abbiegen in eine kreuzende Gemeindestraße stürzt er aufgrund von Rollsplitt, der sich auf der Gemeindestraße befindet, und verletzt sich. Der Rollsplitt stammt von Bauarbeiten auf der Landesstraße, die der Auftragnehmer (AN) im Auftrag des Bundeslandes (Auftraggeber = AG) ausgeführt hat. Auf der Landesstraße hat der AN den Rollsplitt zwar beseitigt; im Kreuzungsbereich von Landes- und Gemeindestraße gelangte der Rollsplitt infolge der Reinigungsarbeiten des AN allerdings auf die Gemeindestraße, wo der AN ihn zurückgelassen hat. Wegen der Kosten der Heilbehandlung des M nimmt dessen Krankenversicherung den AG auf Schadensersatz in Anspruch. Der AG verteidigt sich u. a. mit dem Einwand, dass er die Verkehrssicherungspflicht mit dem Bauvertrag auf den AN übertragen habe und außerdem für die Gemeindestraße nicht verkehrssicherungspflichtig sei. Dafür sei die Gemeinde als Träger der Straßenbaulast zuständig.

Entscheidung

Der AG wird in beiden Instanzen verurteilt. Er ist als Träger der Straßenbaulast für die Landesstraße in deren Bereich grundsätzlich verkehrssicherungspflichtig. Zwar kann die Verkehrssicherungspflicht vertraglich im Rahmen eines Bauvertrags an das Unternehmen, das auf der Straße Bauarbeiten ausführt, übertragen werden. Gleichwohl verbleiben beim Straßenbaulastträger noch Kontroll- und Überwachungspflichten, deren Inhalt sich nach den konkreten Umständen und den örtlichen Verkehrsverhältnissen richtet. Der AG hätte daher kontrollieren müssen, ob im Zuge der vom AN durchgeführten Reinigungsarbeiten der Rollsplitt ordnungsgemäß beseitigt wurde, und zwar auch im Bereich der kreuzenden Gemeindestraße. Zwar folgt dies nicht aus einer Verkehrssicherungspflicht für die Gemeindestraße; hier ist grundsätzlich der für diese Straße zuständige Straßenbaulastträger verkehrssicherungspflichtig. Allerdings beinhaltet die Pflicht des AG zu kontrollieren, ob der Rollsplitt ordnungsgemäß beseitigt wurde auch die Kontrolle, ob durch die auf der Landesstraße ausgeführten Reinigungsarbeiten angrenzende Straßenzüge beeinträchtigt worden sind. Die Kontrollpflicht für die Gemeindestraße resultiert also nicht aus einer Verkehrssicherungspflicht für diese Straße, sondern aus der Reichweite der Kontroll- und Überwachungspflichten in Bezug auf die Landesstraße.

Praxishinweis

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass auch in Fällen, in denen eine bestehende Verkehrssicherungspflicht wirksam auf Dritte übertragen werden kann, den grundsätzlich Verkehrssicherungspflichtigen immer noch Kontroll- und Überwachungspflichten treffen (vgl. BGH, NJW 2006, 3628; BGH, IBR 1990, 107; OLG München, IBR 2018, 684). Deren Umfang ist stets einzelfallbezogen zu ermitteln. Wenn diese Kontroll- und Überwachungspflichten ordnungsgemäß wahrgenommen werden und dies in einem Schadensersatzprozess substanziiert dargelegt wird, kann trotz einer bestehenden Gefahrenstelle, die zu einem Unfall geführt hat, die Haftung zu verneinen sein (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16.10.2020 - 11 U 72/19, IBRRS 2021, 0460).

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Thomas J. Michalczyk