Rückbau und Neuerrichtung erforderlich: Mängelbeseitigung unverhältnismäßig?

OLG Stuttgart, Urteil vom 09.07.2019 - 10 U 14/19; BGH, Beschluss vom 15.04.2020 - VII ZR 164/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 278, 633, 635 Abs. 3; VOB/B § 13 Abs. 1, 5, 7

1. Die Mängelbeseitigung ist unverhältnismäßig, wenn das Bestehen auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung im Verhältnis zu den dafür erforderlichen Aufwendungen unter Abwägung aller Umstände gegen Treu und Glauben verstößt.
2. Der Auftraggeber muss im Rahmen der Nacherfüllung kein vertraglich nicht geschuldetes Werk akzeptieren.
3. Die Mängelbeseitigung ist jedenfalls dann nicht unverhältnismäßig, wenn der Bauunternehmer grob fahrlässig falsches Material verbaut.

OLG Stuttgart, Urteil vom 09.07.2019 - 10 U 14/19; BGH, Beschluss vom 15.04.2020 - VII ZR 164/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

BGB §§ 278, 633, 635 Abs. 3; VOB/B § 13 Abs. 1, 5, 7

 

Problem/Sachverhalt

Die Kläger sind Bauherren eines Einfamilienhauses. Mit der Errichtung beauftragen sie das später beklagte Bauunternehmen. Der Keller soll wegen drückendem Wasser wasserundurchlässig als Weiße Wanne ausgeführt werden. Unter der Bodenplatte soll eine Dämmung aus geschlossenzelligem, extrudiertem Polystyrol (XPS) eingebaut werden. Stattdessen baut das Bauunternehmen eine Dämmung aus expandiertem Polystyrol (EPS) ein. XPS und EPS unterscheiden sich in ihren Eigenschaften deutlich. EPS ist vom Hersteller für die Verwendung unter tragenden Bodenplatten und bei drückendem Wasser nicht zugelassen. Das Gebäude wird zunächst teilweise errichtet. Der Austausch des falschen Dämmmaterials unter der Bodenplatte ist daher nur durch Abriss und Neubau des Gebäudes möglich. Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mängelbeseitigung verlangen die Bauherren vom Bauunternehmen Kostenvorschuss für Abriss und Neubau sowie den Ersatz weiterer Schäden. Das Bauunternehmen stützt sich auf Unverhältnismäßigkeit und verweist auf andere Sanierungsmöglichkeiten (Streifenfundamente und Drainage mit Hebeanlage).

Entscheidung

Ohne Erfolg, da andere Sanierungsmaßnahmen den Mangel nicht beseitigen und mit Nachteilen verbunden sind. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn das Bestehen auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung im Verhältnis zu den dafür erforderlichen Aufwendungen unter Abwägung aller Umstände gegen Treu und Glauben verstößt. Es kommt darauf an, ob bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der für die Mängelbeseitigung erforderliche Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zum Interesse des Auftraggebers an der Mängelbeseitigung steht. Der erforderliche Aufwand eines Abrisses und Neubaus ist jedoch nicht unverhältnismäßig. Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit führt nicht dazu, dass die Bauherren ein vertraglich nicht geschuldetes Werk akzeptieren müssten. § 635 Abs. 3 BGB und § 13 Abs. 6 VOB/B enthalten ein Verweigerungs-, jedoch kein Anpassungsrecht. Selbst wenn sich aus dem Kooperationsgebot ergäbe, dass ein anderes Werk hingenommen werden müsste, müssten die Bauherren kein Werk mit erheblichen Nachteilen (Wartung von Drainage und Hebeanlage, laufende Kosten) akzeptieren. Hinzu kommt, dass das Bauunternehmen den Mangel grob fahrlässig verursacht hat.

Praxishinweis

Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit hat in der Regel nur bei geringer Funktionsbeeinträchtigung Erfolg, insbesondere bei optischen Beeinträchtigungen (OLG Bamberg, IBR 2008, 212). Dem Bauherrn bleibt dann die Minderung. Bei einer spürbaren Funktionsbeeinträchtigung greift der Einwand in der Regel nicht (BGH, IBR 1997, 12). Das Verschulden ist ein wesentliches Kriterium im Rahmen der Abwägung (BGH, IBR 2008, 316).

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Robert Kessler, Köln

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