Durch Rücktrittserklärung frei gekündigt?

OLG München, Beschluss vom 22.03.2018 - 28 U 3641/17 Bau (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen)

1. Ob eine Erklärung als Kündigung zu verstehen ist, ergibt die Auslegung. Maßgebend sind dabei die Umstände des Einzelfalls sowie die bestehende Interessenlage. 2. Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Erklärung als Kündigung ausgelegt werden kann, ist zu berücksichtigen, dass der Auftraggeber von dem freien Kündigungsrecht nur im persönlichen Notfall Gebrauch machen wird.

OLG München, Beschluss vom 22.03.2018 - 28 U 3641/17 Bau (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen)

BGB a.F. § 649

Problem/Sachverhalt

Der Auftragnehmer (AN) begehrt die Zahlung einer pauschalierten Vergütung aus einem zwischen den Parteien geschlossenen sog. "Hausvertrag". Die Auftraggeber (AG) haben unstreitig mit Schreiben vom 19.09.2013 eine Rücktrittserklärung gegenüber dem AN abgegeben. Es ist zwischen den Parteien streitig, ob die AG vor der Erklärung des Rücktritts den Vertrag mit dem AN gekündigt haben. Das Landgericht weist die Klage, die auf die behauptete Kündigung des Vertrags durch die AG gestützt wird, vollumfänglich ab, da vertragliche Ansprüche nicht mehr bestünden, da die AG wirksam mit Erklärung vom 19.09.2013 vom Vertrag zurückgetreten seien.

Entscheidung

Das OLG weist die Berufung zurück und führt aus, dass bei einer Erklärung von einer Kündigung nur dann ausgegangen werden könne, wenn der Wunsch nach der Beendigung eines Vertrags klar und eindeutig zum Ausdruck komme. Dies müsse durch Auslegung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sowie der bestehenden Interessenlage entschieden werden. Unter Hinweis auf Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl., 7. Teil Rz. 27, führt das OLG weiter aus, dass dabei maßgeblich zu berücksichtigen sei, dass der Auftraggeber von seinem freien Kündigungsrecht nur im persönlichen Notfall Gebrauch machen werde, da er dann den Anspruch auf Leistung verliere, obwohl er den Auftragnehmer bezahlen müsse. Die erforderliche Auslegung sei daher "eher in engen Grenzen vorzunehmen" und habe sich "am Interesse des Auftragnehmers an der Fortführung des begonnenen Auftrags und vornehmlich am Interesse des Auftraggebers am Erhalt seines Leistungsanspruchs zu orientieren". Es seien außerdem die Gesamtumstände im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. Nach diesem Maßstab geht das OLG davon aus, dass eine Kündigung nicht mit den vorliegenden Schreiben der AG erklärt worden ist.

Praxishinweis

Das OLG bestätigt die herrschenden Auffassungen zu den Fragen, wann eine Erklärung als Kündigung auszulegen ist und welche Voraussetzungen die Erklärung hierbei erfüllen muss. Ergänzend weist das OLG auch noch einmal darauf hin, dass eine Kündigung daneben auch durch konkludentes Handeln, wie etwa durch anderweitige Vergabe noch ausstehender Leistungen (auch eine eigenhändige Ausführung durch den Auftraggeber kann entsprechend ausgelegt werden) erklärt werden kann. Dem Auftraggeber ist vor diesem Hintergrund zu empfehlen, bei der Abgabe derartiger Erklärungen höchste Sorgfalt walten zu lassen, damit möglichst wenig Raum für eine Auslegung seiner Erklärung bleibt, die gegebenenfalls seinem eigentlichen Willen widerspricht. Vor dem Hintergrund, dass eine als außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gemeinte Erklärung nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig als freie Kündigung ausgelegt wird, wenn ein wichtiger Grund nicht besteht, ist der Auftraggeber auch in diesem Fall gut beraten, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass eine freie Kündigung gerade nicht gewollt ist, wenn er das vorgenannte Ergebnis vermeiden möchte.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Nicolai Chalupsky, Hamburg

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