Schreibtisch Baustelle Nachträge

Dürfen nicht abgerechnete Nachträge "nachgeschoben" werden?

OLG Rostock, Urteil vom 12.11.2021 - 7 U 52/21; BGH, Beschluss vom 01.06.2022 - VII ZR 885/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 195, 199, 631, 632

1. Stellt der Auftragnehmer seine Schlussrechnung und wird diese vom Auftraggeber vorbehaltlos beglichen, darf der Auftraggeber die geltend gemachte Schlussrechnungsforderung des Auftragnehmers als abschließend ansehen.
2. Bei einem vor dem 01.01.2018 geschlossenen Bauvertrag ist die Erteilung einer prüfbaren Schlussrechnung keine Fälligkeitsvoraussetzung. Die Verjährung des Werklohnanspruchs des Auftragnehmers beginnt daher am Ende des Jahres, in dem das Werk abgenommen wurde.

OLG Rostock, Urteil vom 12.11.2021 - 7 U 52/21; BGH, Beschluss vom 01.06.2022 - VII ZR 885/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Problem/Sachverhalt

Der Auftragnehmer (AN) stellt nach der Abnahme am 23.09.2013 seine Schlussrechnung über 139.824 Euro, die vom Auftraggeber (AG) vorbehaltlos bezahlt wird. Weil er sich mit dem AG über die Höhe der Vergütung für Zusatzleistungen (u. a. für den Bau einer Garage) nicht einigen kann, sind diese in der Schlussrechnung nicht enthalten. Ende 2018 klagt der AN weitere 20.000 Euro ein.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Der AG dufte die Schlussrechnung vom 23.09.2013 - mit der neben dem ursprünglich vereinbarten Pauschalpreis auch Zusatzleistungen abgerechnet wurden - als abschließend verstehen und hat sie auch so verstanden. Davon abgesehen steht dem Erfolg der Klage auch die vom AG erhobene Verjährungseinrede entgegen. Die Verjährung eines etwaigen Werklohnanspruchs hat mit Ablauf des Jahres 2013 begonnen. Die Forderung war somit am 01.01.2017 verjährt. Soweit die Möglichkeit besteht, durch besondere Abrede die Fälligkeit hinauszuschieben und sich aus den Umständen auch eine konkludente Einigung des Inhalts ergeben kann, dass der Werklohnanspruch erst mit Rechnungserteilung fällig werden soll (vgl. OLG Düsseldorf, IBR 2011, 1248 - nur online), bestehen hierfür keine Anhaltspunkte.

Praxishinweis

1. Der Aussage in dem der Urteilsbegründung entnommenen (redaktionellen) Leitsatz 1 ist skeptisch zu begegnen. Denn der AN eines Bauvertrags ist nach der Rechtsprechung des BGH nicht an seine Schlussrechnung gebunden und kann deshalb "vergessene" Rechnungspositionen oder Nachtragsforderungen ohne Weiteres "nachschieben" (BGH, NJW 1988, 910), solange sie noch nicht verjährt sind. Etwas anderes gilt gem. § 16 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B im VOB-Vertrag (sofern die VOB/B als Ganzes vereinbart oder sie vom AN gestellt wurde, anderenfalls ist die Regelung unwirksam, siehe BGH, IBR 2009, 566) und - in Ausnahmefällen - im Architektenrecht (siehe BGH, IBR 2016, 18IBR 2009, 35).
2. Wurde der Bauvertrag nach dem 01.01.2018 geschlossen, wird die Vergütung gem. § 650g Satz 1 Nr. 2 BGB erst nach Erteilung einer prüfbaren Schlussrechnung fällig. Erstellt der AN keine Schlussrechnung, beginnt die Verjährung des Anspruchs mangels Fälligkeit nicht zu laufen. Dadurch wird der AG aber nicht schutzlos gestellt. Zwar enthält das BGB keine der Regelung des § 14 Abs. 4 VOB/B vergleichbare Vorschrift. Nach § 14 Abs. 4 VOB/B kann der AG die Schlussrechnung selbst auf Kosten des AN aufstellen, wenn der AN keine prüfbare Schlussrechnung einreicht, obwohl ihm der AG dafür eine angemessene Frist gesetzt hat, und so die Fälligkeit herbeiführen (siehe dazu OLG Nürnberg, IBR 2016, 72). Im BGB-Bauvertrag kann der AG einem mit der Schlussrechnung säumigen AN ebenfalls eine angemessene Frist zur Rechnungsstellung setzen. Kommt der AN dann seiner Obliegenheit nicht alsbald nach, führt das dazu, dass er sich hinsichtlich der Verjährung seines Werklohnanspruchs nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) so behandeln lassen muss, als sei die Schlussrechnung innerhalb angemessener Frist erteilt worden (BGH, NJW-RR 1986, 1279).

 

RA Dr. Stephan Bolz, Mannheim 

© id Verlag