Geschuldeter Leistungsumfang bei Schlüsselfertigkeit

Bei der schlüsselfertigen Herstellung eines Bauvorhabens entwickeln die Vertragsparteien häufig ganz unterschiedliche Vorstellungen über die Reichweite einer solchen Schlüsselfertigkeitsabrede. Kommt es im Nachhinein zum Streit, stehen sich die Parteien mehr oder weniger unversöhnlich gegenüber. Der Auftraggeber besteht auf Ausführung einer aus seiner Sicht mit beauftragten und damit geschuldeten Leistung, der Auftragnehmer hingegen will allenfalls gegen gesonderte Nachtragsvergütung weitere Leistungen erbringen. Im vorliegenden Beitrag erläutert Rechtsanwalt Holger Pauly aus Saarbrücken anhand ausgewählter Rechtsprechung typische Probleme und mögliche Lösungen des Schlüsselfertigbaus.

A. Rechtsprechungsübersicht

I. OLG Naumburg, Urt. v. 20.06.2013

In dieser Entscheidung hatte sich ein Generalunternehmer zur schlüsselfertigen Errichtung eines Kurzentrums zum Pauschalpreis verpflichtet. Der Unternehmer führte den Einbau einer Dampfsperre hierbei lediglich im Bereich der Dachflächen aus, obgleich deren Einbau auch an anderer Stelle des Bauvorhabens, hier: Schwimmbad- und Saunabereich, technisch erforderlich gewesen wäre. Im vom Auftraggeber erstellten Leistungsverzeichnis hingegen war in diesen beiden Bereichen der Einbau einer Dampfsperre nicht vorgesehen. Der Auftraggeber verlangte Mangelbeseitigung, wohingegen der Generalunternehmer auf den Wortlaut des Leistungsverzeichnisses verwies.

Das OLG Naumburg gab der Klage statt. Nach Auffassung des Gerichts werde im Falle einer Schlüssigfertigkeitsabrede regelmäßig nicht nur der Preis sondern auch der zu erbringende Leistungsumfang pauschaliert. Demnach seien vom vereinbarten Leistungsinhalt alle Leistungen umfasst, die für die Erbringung des Vertragszwecks nach den Regeln der Technik für ein zweckgerichtetes und mangelfreies Bauwerk erforderlich und vorhersehbar sind. Ist dies der Fall, könne sich ein Auftragnehmer in diesem Zusammenhang nicht nachträglich darauf berufen, dass von Auftraggeberseite zur Verfügung gestellte Leistungsverzeichnis abgearbeitet zu haben und für deren Fehler nicht verantwortlich zu sein.

Die Entscheidung des OLG Naumburg ist aus mehreren Gründen abzulehnen. Schon im Ausgangspunkt irrt das Gericht, wenn es meint, mit einer Pauschalpreisabrede erfolge zugleich auch eine Pauschalisierung im Hinblick auf die Leistung. Darüber hinaus und vor allem steht die Entscheidung aber auch mit den allgemein anerkannten Grundsätzen der Vertragsauslegung nicht in Einklang. Danach beantwortet sich die Frage, inwieweit der Leistungsumfang in einem Vertrag pauschaliert worden ist, in erster Linie nach dem Leistungsverzeichnis, den Besonderen Vertragsbedingungen, den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen, den Planunterlagen, den anerkannten Regeln der Bautechnik sowie der Verkehrssitte. Hierbei kommt gegebenenfalls der lex speciales Grundsatz zur Anwendung. Sind bestimmte Leistungen in einem Leistungsverzeichnis bzw. den übrigen Vertrags- und Planunterlagen nicht aufgeführt, werden diese also gerade nicht von der Pauschale erfasst. Bei anderer Sichtweise würde man das im Leistungsverzeichnis von den Parteien einvernehmlich festgelegte Leistungsprogramm entgegen dessen Wortlaut nachträglich zu Lasten einer Vertragspartei erweitern, was nicht richtig sein kann. Hinzukommt, dass der Besteller der Werkleistung in vorliegendem Fall auch nicht schutzwürdig war, denn dieser konnte bei sorgfältiger Durchsicht des Leistungsverzeichnisses, insbesondere den Planunterlagen, mit Recht davon ausgehen, gerade nicht in allen Bereichen den Einbau einer Dampfsperre zu schulden.

In vorliegendem Fall kamen auch denkbare Schadensersatzansprüche nicht in Betracht, da das Leistungsverzeichnis vom Auftraggeber stammte, so dass bei diesem auch das Planungsrisiko lag. Der sich aus den Planunterlagen ergebende Planungsfehler darf aber nicht leichtfertig auf den Auftragnehmer abgewälzt werden.

Sofern die Gegenansicht demgegenüber in dem Begriff der schlüsselfertigen Errichtung eine Komplettheitsvereinbarung im Sinne einer funktionalen Leistungsbeschreibung sieht, ist dies zumindest im vorliegenden Fall eines Detail-Pauschalpreisvertrages nicht zutreffend. Dort regelt vielmehr die Leistungsbeschreibung den geschuldeten Vertragsumfang in vorrangiger Weise. Mit einer Schlüsselfertigkeitsvereinbarung wird nämlich entgegen häufig vertretener Ansicht nicht die Leistung sondern nur der Preis pauschalisiert. 16 Von daher liegt im Hinblick auf das Angebot zur Ausführung einer schlüsselfertigen Leistung auch nicht die Übergabe einer Garantie im Sinne einer stets optimalen kompletten Leistungsausführung.

II. OLG Koblenz, Urt. v. 31.03.2010

Der Fall ähnelt vom Sachverhalt her der voranstehenden Entscheidung des OLG Naumburg. Auch dort wurde zunächst in ganz pauschaler Weise hinsichtlich der Errichtung eines Neubaus eine Schlüsselfertigkeitsabrede getroffen. Im Vertragstext hieß es hierzu ausdrücklich, dass „dieses Preisangebot ein Global-Pauschalpreisangebot für sämtliche ausgeschriebene Leistungen darstelle”. Allerdings gab es auch dort eine Leistungsbeschreibung, in der der abzuarbeitende Leistungsumfang nochmals in speziellerer Form dargelegt worden war. Während der Bauherstellung zeigte der Auftragnehmer Mehrkosten hinsichtlich nicht im Leistungsverzeichnis enthaltener Leistungen an. Die auf Mehrvergütung gerichtete Klage war im Wesentlichen erfolgreich. Das OLG Koblenz stellte entgegen dem voranstehend besprochenen Urteil des OLG Naumburg entscheidend auf die Leistungsbeschreibung ab, die als speziellere Regelung der Pauschalisierungsabrede vorgehe. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Für die rechtliche Einordnung eines Vertrages kann es nicht allein auf die oftmals ungenaue Wortwahl im Vertragstext ankommen sondern entscheidend muss vielmehr die Auslegung des jeweiligen Vertrages anhand aller vorhandener Unterlagen des Einzelfalles sein. In vorliegendem Fall sprach das in erster Linie heranzuziehende umfangreiche Leistungsverzeichnis eindeutig für die Annahme eines Detail-Pauschalpreisvertrages, womit der Umfang der Leistung aber gerade nicht pauschalisiert war. Das OLG Koblenz stellte dabei in begrüßenswerter Weise ausdrücklich klar, dass die im Vertrag vorgesehene Schlüsselfertigkeitsabrede grundsätzlich nicht dazu geeignet sei, bei Vorliegen einer detaillierten Leistungsbeschreibung den Abgeltungsumfang der vereinbarten Pauschalsumme zu erweitern. Etwas anderes könne aufgrund der Vertragsautonomie lediglich dann gelten, falls die Parteien eine ganz eindeutige Pauschalisierungsabrede hätten treffen wollen, was aufgrund der damit auf Auftragnehmerseite zwangsläufig verbundenen Risikoübernahme aber nur äußerst selten der Fall sein könne. Mit Recht wies das Gericht in diesem Kontext darauf hin, dass aufgrund des Ausnahmecharakters solcher Abreden insoweit stets eine enge Auslegung geboten sei.

Das OLG Koblenz sprach in seinen Entscheidungsgründen im Übrigen einen weiteren Ausnahmefall an. So scheidet nach gefestigter Rechtsprechung bei offenkundigen Mängeln und Lücken der Leistungsbeschreibung eine über den Pauschalpreisvertrag hinausgehende Vergütungspflicht für zusätzlich erbrachte Leistungen aus, soweit diese Leistungen offensichtlich und für den Auftragnehmer bzw. Bieter bereits im Rahmen der Kalkulation erkennbar erforderlich zur Erstellung des Bauwerks waren. Die Erbringung solcher Leistungen ist in diesem Fall – auch wenn sie im Rahmen der Leistungsbeschreibung nicht aufgeführt wurden – vertraglich geschuldet und gehören damit zum vertraglichen Leistungsumfang.

Zu beachten bleibt jedoch, dass der BGH zuletzt ausdrücklich klargestellt hat, dass die Anforderungen an die Offenkundigkeit nicht zu eng zu Lasten der Auftragnehmer verstanden werden dürfen. Danach liegt ein zu offenbarender kalkulationsrelevanter Umstand nicht schon dann vor, wenn dieser an irgendeiner Stelle der von Auftraggeberseite erstellten Vertragsunterlagen, zum Beispiel in den technischen Ausschreibungsvorschriften, erwähnt ist. Vielmehr muss hinzukommen, dass dieser technische Umstand bzw. die darin liegenden Erschwernisse von Auftraggeberseite auch ordnungsgemäß beschrieben worden sind. Kommt der Auftraggeber seiner dahingehenden vertraglichen Nebenpflicht nicht nach, darf der Auftragnehmer bzw. der Bieter in einem Vergabeverfahren davon ausgehen, dass alle nicht genannten Erschwernisse, die nach den einschlägigen DIN-Normen zu beschreiben gewesen wären, auch tatsächlich nicht vorliegen. Werden dann im Nachhinein im Gefolge dieses Planungsmangels Mehrleistungen erforderlich, sind dem Auftragnehmer Nachtragsansprüche zuzubilligen.

Dieser einengenden Sichtweise ist im Ergebnis zuzustimmen. Eine Vereinbarung, wonach der Pauschalpreis auch einen über die detaillierte Leistungsbeschreibung hinausgehenden Leistungsumfang abgelten soll, erfordert aufgrund ihrer Ungewöhnlichkeit strengste Anforderungen. Technische Vorschriften, die den vertraglichen Leistungsumfang erweitern sollen, sind deshalb grundsätzlich eng auszulegen. Verbleiben im Anwendungsbereich solcher technischer Vorschriften Auslegungsspielräume, muss dies regelmäßig zu Lasten des Auftraggebers gehen. Bei anderer Sichtweise könnten Auftraggeber bedenkenlos und unter gleichzeitigem Einsparen von Planungsaufwand äußerst kostengünstig unvollständige Leistungsverzeichnisse erstellen, in der Hoffnung, der Bieter müsse diese Leistungen quasi kostenlos erbringen. Dass dies nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand.


Der vollständige Aufsatz „Zur Bestimmung des geschuldeten Leistungsumfangs bei vereinbarter Schlüsselfertigkeit – Risiken für Auftraggeber und Auftragnehmer“ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „baurecht“ (BauR 2016, 1675 - 1682, Heft 10). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.