Die neue Rechtsprechung des BGH zu § 642 BGB

Am 26.10.2017 fällte der BGH ein Urteil zum Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB. Dem Urteil zufolge ist dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür zu gewähren, dass er während eines Annahmeverzuges des Bestellers infolge unterlassener Mitwirkung Produktionsmittel für die Herstellung der Werkleistung bereithält. Dogmatisch sei das Urteil ein Schritt in die richtige Richtung, schreibt Dr. Marco Schneider in seinem Fachaufsatz dazu. Aus Sicht der Billigkeit und des Gerechtigkeitsempfindens wie auch von einem ökonomischen Standpunkt hingegen zeigt sich der Rechtsreferendar kritisch.

Die Entscheidung des BGH vom 26.10.20171  dürfte für viel Aufsehen gesorgt haben. Das Kammergericht hatte in seiner vorhergehenden Entscheidung die Revision aus verschiedenen Gründen zugelassen. Bezüglich der Entschädigung aus § 642 BGB hielt es eine grundsätzliche Bedeutung der Entscheidung für gegeben; insbesondere da es hinsichtlich der Ersatzfähigkeit eines Gewinnanteils im Rahmen des § 642 BGB von der – vermeintlichen – Linie des BGH abwich.

Diese Gelegenheit nahm der BGH zum Anlass, um seine Rechtsprechung auch in einem anderen Punkt zu verfestigen. Entgegen einer verbreiteten Ansicht in Literatur und Rechtsprechung beschränkte der BGH den zeitlichen Anwendungsbereich des § 642 BGB nun ausdrücklich auf die Dauer des Verzugs. Kosten die zwar durch, aber erst nach Beendigung des Annahmeverzugs anfallen, sind nach dieser neuen Rechtsprechung nicht von der Entschädigung des § 642 BGB umfasst.

Aus dogmatischer Sicht dürfte es sich dabei um einen Schritt in die richtige Richtung handeln. Aus dem Blickwinkel der Billigkeit und des Gerechtigkeitsempfindens erscheint jedoch fraglich, ob es wirklich gerecht ist, solche Mehrkosten dem Werkunternehmer aufzubürden, obwohl das störende Ereignis – wenn auch unverschuldet – aus der Sphäre des Bestellers stammt. Dagegen spricht jedenfalls ein weit verbreiteter Konsens unter den Rechtsanwendern. Auch eine ökonomische Betrachtung dürfte es nahelegen, den Besteller mit diesen Kosten zu belasten, da sie aus seiner Risikosphäre stammen und er sie daher besser beherrschen kann, als der Unternehmer.

Dieser Aufsatz widmet sich der Frage, ob der dogmatischen Korrektheit in diesem Bereich tatsächlich der endgültige Vorrang vor einem weit verbreiteten Rechtsempfinden gewährt werden muss oder ob unser Rechtssystem de lege lata nicht doch Mechanismen bereithält, mit denen dogmatisch korrekte und zugleich dem Rechtsempfinden entsprechende Ergebnisse herbeigeführt werden können.

I. Einstieg – Typische Nachteile des Unternehmers

Gerät der Besteller eines Werkvertrages während oder auch vor der Herstellungsphase in Annahmeverzug, kann der Unternehmer seine Leistungen vorerst nicht oder zumindest nicht im geplanten Umfang ausführen. Es tritt ein (teilweiser) Stillstand ein. Ein solcher Stillstand versursacht für den Unternehmer verschiedene – neutral ausgedrückt – „Einbußen“, die zum Zwecke dieses Beitrags in zwei Gruppen unterteilt werden sollen:

  1. Gruppe 1 – Mehrkosten: Während des Verzugs muss sich der Unternehmer leistungsbereit halten. Dazu entstehen Mehrkosten, hauptsächlich in Form von Vorhaltekosten für Gerät, Material und Personal sowie für weiterhin anfallende (zeitabhängige) Baustellengemeinkosten. Hinzu treten häufig solche Mehrkosten, die bspw. wegen gestiegener Lohn- und Materialkosten zwar durch aber erst nach Beendigung des Annahmeverzugs anfallen – wie auch im Fall des BGH geschehen.
  2. Gruppe 2 – Verdienstausfälle: Ferner entgehen dem Unternehmer diejenigen Verdienstanteile, die er sich während des Verzugs hätte erarbeiten können. Dazu gehören in erster Linie seine kalkulierten Deckungsanteile für allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn. Er kann seine wirtschaftliche Kraft während des Annahmeverzugs nicht gewinnbringend einsetzen – abgesehen von einem möglichen anderweitigen Erwerb, der für diesen Beitrag ausgeblendet werden soll.

Dieser grundlegenden Unterscheidung zwischen entstehenden  Mehrkosten und entgehenden  Verdienstanteilen wird im Rahmen des § 642 BGB bisher nur sehr wenig Beachtung geschenkt. Indes handelt es sich dabei um eine grundlegende und wichtige Unterscheidung, welche im weiteren Verlauf dieses Beitrags noch von hoher Relevanz sein wird.

In den hier interessanten Konstellationen tritt für den Unternehmer erschwerend hinzu, dass der Grund des Annahmeverzugs zwar aus der Sphäre des Bestellers stammt, diesem aber kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Als Anspruchsgrundlagen verbleiben dann in aller Regel „nur“ die §§ 304, 642 BGB.

II. § 642 BGB auf dem Prüfstand

§ 642 Abs. 1 BGB gewährt dem Unternehmer einen Anspruch auf angemessene Entschädigung. Was genau von dieser Entschädigung umfasst sein soll, ist bis heute relativ unklar.

Nach momentan vorherrschender Auffassung können Einbußen beider der oben genannten Gruppen (Mehrkosten und Verdienstausfälle) Teil der Entschädigung sein. Die überwiegende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung geht im Ausgangspunkt davon aus, dass dem Unternehmer nach § 642 BGB eine Art Abfindung für die nutzlose Vorhaltung von Gerät, Material und Personal bzw. ein Ausgleich für den zeitweisen Verlust seiner Dispositionsfreiheit über ebendiese gewährt werden soll.

Im Einzelnen ist hier vieles umstritten. Auf die verschiedenen Ansichten näher einzugehen ist jedoch nicht das eigentliche Ziel dieses Beitrags. Für die hier verfolgten Zwecke genügt es, Folgendes festzuhalten: Ungeachtet der einzelnen Meinungsverschiedenheiten besteht im Rahmen des § 642 BGB Einigkeit hinsichtlich der Ersatzfähigkeit solcher Kosten, die während des Annahmeverzugs durch die Vorhaltung von Gerät, Material und Personal entstehen (Gruppe 1 – Mehrkosten).

Um diese Sichtweise einer „Richtigkeitskontrolle“ zu unterziehen, soll im Folgenden zunächst auf Tatbestand und Rechtsfolgen des § 642 BGB eingegangen werden.


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Die neue Rechtsprechung des BGH zu § 642 BGB – Ein Sieg der Dogmatik über das Rechtsempfinden?“ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „baurecht“ (BauR 2018, 411 - 422 (Heft 3)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.