Das Einigungsgebot im neuen Bauvertragsrecht

ARGE Baurecht-Mitglied Dr. Peter Hammacher befasst sich mit einer besonderen Facette des neuen Bauvertragsrechts: dem Gebot der Einigung. Dabei erläutert er die wichtige Rolle der Sachverständigen und Mediatoren, mit deren Hilfe teure und langfristige Baustreitigkeiten vermieden werden können. In zehn Punkten klärt er über die wichtigsten Neuerungen auf und gibt Handlungsempfehlungen für die Praxis. Der Beitrag wurde kürzlich in „Der Bausachverständige“ im Bundesanzeiger Verlag veröffentlicht.

Seit dem 1. Januar 2018 gilt neues Vertragsrecht. Der Gesetzgeber hat den neuen Vertragstyp Bauvertrag eingeführt und hierfür Regeln aufgestellt. Die wichtigste Regel: die Vertragsparteien sollen sich einigen! 

1. Baustreitigkeiten gehören zu den längsten und teuersten Streitigkeiten. Sie belasten die Prozessparteien mit Kosten für Bauzeitverlängerung, Gerichts-, Anwalts- und Gutachterkosten vor allem aber für die eigenen Mitarbeiter, die die Streitigkeiten oft jahrelang begleiten müssen. Die Allgemeinheit wird durch verzögerte Großprojekte und die Vorhaltung eines teuren Justizapparates ebenfalls belastet. Die Vermeidung solcher Streitigkeiten war deshalb eines der Ziele, die mit der Reform erreicht werden sollte.

Ein Grund für Baustreitigkeiten liegt meist in Änderungen, die sich während der Auftragsabwicklung ergeben. Das neue Bauvertragsrecht regelt nunmehr die Vorgehensweise, wenn der Auftraggeber eine andere Ausführung begehrt als ursprünglich vereinbart.

Dabei benötigen die Vertragsparteien externe Unterstützung.

2. Zunächst hat der Auftraggeber zu prüfen, ob sein Wunsch überhaupt eine Änderung des bisherigen Vertrages darstellt. Es kann ja auch sein, dass sein Wunsch lediglich eine bereits in dem Vertrag enthaltene Leistung konkretisiert. Es kann auch sein, dass die Ausführung von geänderten Leistungen bereits vertraglich vereinbart war. Es kann sein, dass die Parteien einen Funktionalvertrag vereinbart haben, bei dem Leistungen, die zur Erreichung des Erfolges notwendig sind, im Liefer- und Leistungsumfang des Auftragnehmers enthalten sind.

Diese Prüfung ist nicht immer einfach. Es geht um die Auslegung des Vertrages mit allen seinen Vertragsbestandteilen, aber auch um die Beurteilung der technischen Rahmenbedingungen. Geht es um viel, ist der Auftraggeber gut beraten, sich hier nicht nur auf sein Bauchgefühl zu verlassen, sondern eine zweite Meinung einzuholen, die eines unabhängigen Baurechtlers und/oder eines Sachverständigen.

3. Sind die Parteien unterschiedlicher Auffassung darüber, ob die Leistung bereits enthalten ist oder nicht, muss eine Lösung gefunden werden. Neue Regeln hat der Gesetzgeber hierzu nicht geschaffen. Die Frage sollte sachlich und fachlich fundiert geklärt und auf dieser Grundlage einer Einigung zugeführt werden. Auch dies ist mit Unterstützung von außen für beide Seiten leichter.

Wenn sie sich nicht einigen und auch keine sinnvollen Zwischenregelungen treffen, gehen beide Parteien große Risiken ein, der Auftragnehmer jedoch noch mehr: Verlangt nämlich der Auftraggeber die Ausführung und verweigert der Auftragnehmer die Leistung mit der Begründung, es handele sich um eine nicht vereinbarte Leistung, kann der Auftraggeber den Vertrag beenden. Das wird in aller Regel zu Mehrkosten führen, die er dann vom Auftragnehmer verlangen wird. Hatte der Auftraggeber zu Unrecht gemeint, er könne die Leistung vom Auftragnehmer verlangen, wäre seine Kündigung zu Unrecht erfolgt. Dann muss er den Auftragnehmer auch für die nicht erbrachten Leistungen vergüten. Die Parteien sind gut beraten, schnell nach sinnvollen Lösungen zu suchen, denn jede Verzögerung führt zusätzlich zu Kosten, die das Vorhaben belasten.

4. Handelt es sich tatsächlich um eine Änderung des geschlossenen Vertrages, hat sich der Gesetzgeber etwas Neues ausgedacht: Es gibt Änderungen, die den Werkerfolg an sich betreffen, z.B. die zusätzliche Erstellung eines Anbaus, der ursprünglich gar nicht vorgesehen war. Es gibt aber auch niederschwellige Änderungen, die das Ziel selbst nicht betreffen: Das Gebäude ändert sich nicht, es sollen lediglich Stromkabel zusätzlich oder an anderer Stelle verlegt werden. Beide Änderungen sind Leistungsänderungen und führen zu Mehr- oder Minderkosten. Der Gesetzgeber verpflichtet jetzt den Auftragnehmer, ein Angebot für diese geänderten Leistungen vorzulegen, unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten. Er erreicht damit, dass sich die Vertragsparteien sowohl über die Art der Ausführung als auch über die damit verbundenen Kosten auseinandersetzen.

Transparenz ist für die Konfliktvermeidung von hohem Wert: Bisher war es oft so, dass der Auftragnehmer geänderte Leistungen ausführte, ohne dass überhaupt klar war, wieviel es kosten würde und ob der Auftraggeber diese Kosten auch anerkennen wird. Jetzt kann schon vor der Ausführung Leistungs- und Kostentransparenz entstehen und dadurch ein wesentlicher Streitpunkt entfallen. Wissen die Parteien, worüber sie sprechen, lässt sich ganz anderes verhandeln. Eine Einigung über den Nachtrag (erstmals wird der Begriff in § 650c Abs.2 BGB erwähnt) wird damit leichter möglich.

Freilich können die Vorstellungen der Parteien über Art der Ausführung und über Vergütung weit auseinander liegen. Die Parteien sind auch an dieser Stelle gut beraten, sich externe Unterstützung zu holen: Die Beurteilung der technischen und finanziellen Lage wird durch Sachverständige möglich sein, die als Planer vor allem aber auch als Projektverantwortliche ausführender Firmen Erfahrung in der Umsetzung betreffender Bauvorhaben gesammelt haben und die Kostenseite von Fertigung und Montage beurteilen können.

5. Nun könnte der Auftragnehmer dagegen protestieren, dass er gezwungen wird, ein Angebot für eine Leistung vorzulegen, die mit seinem ursprünglichen Vertrag gar nichts zu tun hat. Er hatte sich mit dem Auftraggeber auf einen ganz bestimmten Vertrag mit einem ganz bestimmten Ziel verständigt. Wieso soll er jetzt auf einmal etwas anderes anbieten müssen, obwohl er das vielleicht gar nicht will?

Diesen Einwand respektiert der Gesetzgeber: Der Auftragnehmer muss bei Zieländerungen nur dann ein Angebot abgeben, wenn ihm dies zumutbar ist. Hat der Auftragnehmer z.B. keine Kapazitäten mehr frei oder ist er technisch gar nicht in der Lage, diese abweichenden Bauleistungen zu erbringen, ist es ihm nicht zumutbar, ein Angebot zu erarbeiten. Allerdings muss er solche internen Vorgänge, die ihm die Angebotslegung unzumutbar machen, notfalls auch nachweisen. Umgekehrt muss der Auftraggeber alles andere beweisen, was zur Zumutbarkeit eines solchen Angebotes führt.

Hier greifen baubetriebliche Fragestellungen und konkrete Auftragsabwicklung ineinander. Besonders kritisch wird es, wenn der Auftragnehmer auch mit Planungsleistungen beauftragt werden soll. War dies bisher nicht der Fall, muss der Auftragnehmer die Planung auch nicht anbieten. Dies wird in vielen Fällen aber gar nicht so leicht zu beantworten sein, denn die strikte Trennung zwischen Planung durch den Auftraggeber und „bloße“ Ausführung durch den Auftragnehmer wird praktisch häufig aufgehoben. Das Vorliegen der Voraussetzungen im Rahmen der Zumutbarkeitsgrenze muss auch in dieser Konstellation von der Seite bewiesen werden, die sich darauf beruft.

Hier kommt erneut der Sachverständige ins Spiel, denn die Parteien können den Beweis auch durch ein Sachverständigen-Gutachten liefern. Die besondere Herausforderung wird in der Geschwindigkeit liegen: es geht immer noch darum zu prüfen, ob der Auftragnehmer ein Angebot zu unterbreiten hat. Das muss schnell gehen, um die Bauzeitverzögerung zu vermeiden und die gesetzliche Frist von 30 Tagen nicht zu überschreiten. Abgekürzte Verfahren bieten sich hier an, etwa eine Mediation oder Schlichtung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, der sein Knowhow in die Verhandlung einfließen lässt, ohne ein vollständiges gerichtsfestes Gutachten abliefern zu müssen.

6. Nehmen wir an, der Auftragnehmer hat ein Angebot für die geänderten Leistungen vorgelegt und die Vergütung erscheint dem Auftraggeber zu hoch. Wie geht es weiter?

Jetzt kommt der Gesetzgeber auf eine grandiose Idee: Die Parteien sollen sich einigen! „Die Vertragsparteien streben Einvernehmen über die Änderung und die infolge der Änderung zu leistende Mehr- oder Mindervergütung an“.

Man sollte meinen, dass dies doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sei. Ist es aber nicht! Das BGB ist voller Regelungen darüber, wie eine Einigung zustande kommt, wann eine Einigung Voraussetzung für etwas ist und was passiert, wenn sich Parteien nicht einigen. Eine Aufforderung, gefälligst eine Einigung zu erzielen, gab es bisher nur an einer einzigen Stelle im BGB, §1627 BGB: „Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen“!

Wie im Familienrecht zum Wohle des Kindes sollen die Parteien bei Baustreitigkeiten zum Wohle aller, die von den Streitigkeiten betroffen sind, Einvernehmen erzielen.

Verweigert sich eine Partei, droht ihr freilich kein Bußgeld oder Gefängnis, denn der Gesetzgeber kann die Parteien nicht auf diesem Wege zu einer Verhandlung zwingen. Während das pflichtwidrige Verhalten im Familienrecht aber immerhin Anlass sein kann, Maßnahmen zum Schutze des Kindes anzuordnen, § 1666 BGB, fehlt hier eine Entsprechung zum Schutz der Allgemeinheit. Auch der andere Vertragspartner hat - wohl - keinen einklagbaren Anspruch auf Erfüllung des Verhandlungsgebotes.

Dennoch bleibt es nicht ohne Wirkung, wenn die eine Partei sich nicht ernstlich um eine Einigung bemüht. Sie verletzt damit ihre Kooperationspflicht. Sieht man im Verstoß gegen das Einigungsgebot zugleich eine Obliegenheitsverletzung, muss sich die Partei die Folgen ihres Handelns zurechnen lassen. Die unterlassene Mitwirkung kann dazu führen, dass der Vertragspartner für die Zeit des Gläubigerverzuges Entschädigung verlangt oder sogar den Vertrag kündigt, § 642,643 BGB. Die Obliegenheitsverletzung kann ein Mitverschulden zur Folge haben, § 254 BGB.Außerdem ist es für eine pflichtwidrig handelnde Partei mit diesem Makel schwieriger, in späteren Verhandlungen ihre Interessen wahrzunehmen; sie verschlechtert ihre Verhandlungsposition.

Dem Verhandlungsgebot kommt damit eine zentrale Bedeutung in der Konfliktbearbeitung zu. Die Parteien sollten sich frühzeitig darauf verständigen, wie sie in einer solchen Situation verhandeln möchten. Sachverständige und neutrale Dritte, Mediatoren, Schlichter, können den Einigungsprozess professionalisieren und beschleunigen. Dies muss künftig deutlicher hervorgehoben werden.

7. Sind die Verhandlungen nicht zustande gekommen oder gescheitert, darf jetzt der Auftraggeber die Ausführung einseitig anordnen, allerdings nicht vor Ablauf von 30 Tagen. Die Kooperationspflicht gilt auch für den Auftragnehmer. Macht er keine Anstalten zu verhandeln oder erklärt er, dass dies ohnehin zwecklos sei, wird man dem Auftraggeber, wie in ähnlichen Konstellationen auch, bereits vorher ein Anordnungsrecht zubilligen können. Das Risiko für den Nachweis der Voraussetzungen für diese Fristunterschreitung liegt aber beim Auftraggeber! 

8. Wenn der Auftragnehmer der Anordnung des Auftraggebers Folge leisten soll: muss er wie bisher auch mit den Kosten in Vorleistung treten. Sobald er aber geleistet hat, kann er eine Abschlagszahlung verlangen, § 632a BGB. Wenn er jetzt mit dem Auftraggeber über die Höhe des Wertes der erbrachten Leistung nicht diskutieren will - und darum geht es meistens - darf der Auftragnehmer jetzt 80% seines Angebotspreises für die geänderten Leistungen als Abschlagszahlung verlangen, § 650c Abs.3 BGB.

Das ist recht hoch. Wenn sich später herausstellt, dass die 80 % überzogen waren, muss der Auftragnehmer die Differenz zurückzahlen und dazu noch einen heftigen Verzugszins bezahlen.

Dieses Konfliktlösungsmodell enthält also Chancen, aber genauso viele Risiken! Der Auftraggeber kann zwar einseitig anordnen, aber er muss mit finanziellen Belastungen rechnen. Der Auftragnehmer kann zwar Geld verlangen, muss aber ebenfalls mit finanziellen Nachteilen rechnen. Das ist nicht wirklich attraktiv! Die Parteien sollten es nicht soweit kommen lassen und vorher eine Einigung erzielen.

9. Wie geht es weiter? Der Auftragnehmer ist unzufrieden, weil er meint, ein Angebot sei ihm nicht zuzumuten. Der Auftraggeber ist unzufrieden, weil er kein Angebot erhält. Beide sind unzufrieden, weil die Vergütung nicht stimmt.

Hierfür hat der Gesetzgeber die in der Zivilprozessordnung vorgesehene Einstweilige Verfügung aktiviert, § 650c BGB. In diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sollen die Parteien möglichst bald eine Entscheidung ihrer Streitfragen erhalten. Gegenstand einstweiliger Verfügungen können Sicherungsverfügungen nach § 935 ZPO oder Regelungs- bzw. Leistungsverfügungen nach § 940 ZPO sein. Regelmäßig muss der Antragsteller in diesen Verfahren den Verfügungsanspruch glaubhaft machen, also dass ihm das geltend gemachte Recht tatsächlich zusteht, sowie den Verfügungsgrund, also dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, wenn nicht schnell etwas passiert.

Hier bringt der Gesetzgeber erneut das Einigungsgebot und den Sachverständigen ins Spiel: Haben die Parteien zuvor unter Beiziehung eines Sachverständigen versucht, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen, muss der Antragsteller den Verfügungsgrund nur noch behaupten, aber nicht mehr glaubhaft machen, § 950c Abs.5 BGB. Das kann Zeit sparen und ist eine Sorge weniger. Also auch hier: Die Parteien sind gut beraten, ernsthafte Einigungsbemühungen zu unternehmen – gerade auch unter Einbeziehung eines Sachverständigen. Selbst wenn diese Einigungsbemühungen nicht erfolgreich waren, werden sie doch wenigstens prozessual belohnt!

Im einstweiligen Verfügungsverfahren sind zwecks Beschleunigung nur präsente Beweismittel, § 294 Abs.2 ZPO zugelassen. Die Parteien können deshalb keine Beauftragung eines Sachverständigen zur Erstellung eines Gutachtens oder dessen Aussage bei einem weiteren Termin beantragen. Die Parteien können aber dafür sorgen, dass ein Sachverständiger bei der mündlichen Verhandlung präsent ist, indem sie ihn bitten Sie zum Termin zu begleiten. Mit seiner Hilfe können sie ihre Behauptungen glaubhaft machen bzw. beweisen. Das kann der Privatgutachter sein. Das kann aber auch ein Sachverständiger sein, der – ohne bisher einen Auftrag erhalten zu haben - bereit ist, auf Aufforderung des Gerichts im mündlichen Termin auszusagen.

Auch in dieser Phase kann der Sachverständige wieder einen wertvollen Beitrag zur Klärung und damit zur Konfliktlösung leisten.

10. Fazit: Der Gesetzgeber verlangt, dass komplexe Bauverträge kooperativ und einvernehmlich abgewickelt werden, zum Wohle der Parteien – aber auch der Allgemeinheit. Bei Problemen im Zusammenhang mit Änderungsanordnungen ist dazu in jeder Phase der Auseinandersetzung Gelegenheit! Die Vertragsparteien sollten externe Unterstützung hinzuziehen: Sachverständigen, Mediatoren oder Schlichter können eine wertvolle Hilfe sein, um Streitigkeiten zu vermeiden und Konflikte schnell und angemessen zu lösen!


Dr. Peter Hammacher, Rechtsanwalt-Mediation-Schiedsverfahren, Heidelberg