Fachhochschule Münster: auch hier wird Baurecht gelehrt

Ausbildung: Blick über den Bau(rechts)zaun

Das Baurecht war für Professor Thomas Thierau als junger Rechtsanwalt noch „ein Sprung ins kalte Wasser“. Er hat sich darin jedoch sehr schnell freigeschwommen und gehört heute zu den renommiertesten Baurechtsexperten Deutschlands. Im Interview stellt das Gründungsmitglied der ARGE Baurecht den berufsbegleitenden Masterstudiengang „Baurecht im Lebenszyklus von Gebäuden“ vor, den er an der Fachhochschule Münster leitet. Nebenbei verrät er uns noch, wie er seinen Weg ins Baurecht gefunden hat.

Herr Professor Thierau, was verbirgt sich hinter dem Masterstudiengang „Baurecht im Lebenszyklus von Bauwerken“?

Die Grundidee der Ausbildung steckt bereits im Titel. Wir begleiten den kompletten Lebenszyklus eines Gebäudes. Das beginnt mit der ersten Planung deutlich vor dem Spatenstich und zieht sich dann durch alle Phasen bis hin zur Inbetriebnahme und gegebenenfalls dem Abbruch des Gebäudes. Dabei behandeln wir alle relevanten Rechtsgebiete sowie baubetriebliche und betriebswirtschaftliche Aspekte. Indem unsere Absolventen den kompletten zeitlichen Entstehungs- und Betriebsprozess einer Immobilie durchlaufen, lernen sie, wie sie die unterschiedlichen Phasen rechtlich, technisch, praktisch und zeitlich aufeinander abstimmen. Kurz: Unsere Absolventen erhalten eine Super-Basis, um in der komplexen Gemengelage eines Baubetriebs sicher navigieren zu können.

Was ist das Besondere an dem Kurs?

Da fallen mir verschiedene Dinge ein, vor allem der „Blick über den Zaun“, wie ich das nenne. Wir erweitern den Blick auf Immobilien und Gebäude. Was braucht das Bauwerk, um zu entstehen und später betrieben zu werden? Wir integrieren bei der Beantwortung dieser Frage alle relevanten Bereiche wie Bautechnik, Planung, Betriebswirtschaft, Baubetrieb und Baurecht. Und wir arbeiten exklusiv mit dem Institut der Bauwirtschaft (BWI) zusammen. So erlangen unsere Teilnehmer ein tieferes Verständnis für das Geschehen auf der Baustelle. Eine weitere Besonderheit finden Sie im ersten Semester. Hier gleichen wir das Grundlagenwissen aller Teilnehmer ab. Techniker bekommen eine rechtliche und die Baurechtler bekommen eine technische Grundausbildung. Beide Gruppen absolvieren gemeinsam intensive baubetriebliche Schulungen. Dadurch können wir in den weiteren Semestern auf einem gemeinsamen Niveau weitermachen. Besonders ist auch die Praxisnähe. Dazu haben wir im zweiten und dritten Semester eine sogenannte Tool-Box eingerichtet. Hier stellen wechselnde Dozenten spannende Fälle aus der Praxis vor und besprechen diese mit den Teilnehmern. Die Vorlesungen sind sehr beliebt.

Gibt es bestimmte Zugangsvoraussetzungen?

Man muss ein abgeschlossenes Bachelor-Studium mit 210 Leistungspunkten und mindestens ein Jahr Berufserfahrung mitbringen. Die Fachgebiete sind durchaus breit gefächert. Wir haben Bauingenieure, Architekten, Wirtschafts- oder Sozialwissenschaftler, Facility Manager und natürlich Juristen. Das Studium findet berufsbegleitend und dementsprechend außerhalb der normalen Arbeitszeiten statt, vor allem an den Wochenenden und hin und wieder auch mal ‚Power-Phasen‘ am Stück. Wir achten jedoch sehr darauf, dass unsere Teilnehmer nicht ständig Urlaub nehmen müssen.

Was bringt der Studiengang für Absolventen?

Der Rundumblick bringt unsere Teilnehmer entscheidend weiter. In einer monothematischen Ausbildung erreichen Sie das nicht. Ein Techniker konzentriert sich auf die technischen Details, ein Jurist auf die fachjuristischen Dinge. Selbst im Baurecht gibt es kaum jemanden, der öffentliches und privates Baurecht in gleichem Maß betreibt. Bei uns lernen all diese Bauprofis den gesamten Baulebenszyklus kennen. Dadurch können sie später ihre Mandanten umfassender beraten und wahrscheinlich auch deutlich besser mit den anderen am Bau beteiligten Berufsgruppen kommunizieren.

Was lernen die Teilnehmer bei Ihnen, was sie in vorangegangenen Ausbildungen und Studiengängen nicht gelernt haben?

Wir sind sehr bestrebt, unseren Absolventen viel Praxiswissen mitzugeben. Die Techniker bekommen einen guten Überblick über die rechtlichen Dinge, die Juristen gehen mehr ins technische Detail. Beide Gruppen lernen zudem viel über den Baubetrieb. Dadurch sind die Juristen in der Lage, beispielsweise typische Probleme wie Bauzeitverlängerungen viel besser zu behandeln, eben weil sie Randgebiete des eigenen Fachs kennen und interdisziplinäre Zusammenhänge herstellen können.

Ihre Dozenten-Liste liest sich wie ein Who-is-Who der Bauspezialisten. Wie schaffen Sie das?

Ja, das finde ich auch (lacht). Im Ernst: Wir sind uns bewusst, dass unsere Dozenten ein Pfund sind, mit dem wir wuchern können. Das macht uns stolz. Das funktioniert aber nur, weil die Dozenten halb-ehrenamtlich mitarbeiten. Sie machen das vorwiegend, weil sie Spaß daran haben, unseren interdisziplinären Ansatz mitzugestalten. Und wahrscheinlich sind sie auch der Grund, warum wir eine solide, wenn auch nicht optimale, Auslastung haben. Aktuell belegen 12 bis 14 Teilnehmer den Kurs. Ein paar mehr wären schön, vielleicht 20 bis maximal 25. Dann kann man immer noch gut in der Gruppe arbeiten und die Kosten würden sich besser rechnen.

Was raten Sie jungen Baurechtlern?

Baurecht an sich ist im Grunde nicht so furchtbar schwierig. Was es komplex macht, ist, dass Sie gründlich am Sachverhalt arbeiten müssen. Der Baurechtler kommt zu falschen juristischen Schlüssen, wenn er den Sachverhalt oberflächlich erfasst. Unsere Absolventen gehen da mit anderen Voraussetzungen rein. Sie kennen auch technische und baubetriebliche Details und können ihre Fälle damit besser bearbeiten. Ein anderer Rat ist: Wann immer möglich, sollten Sie nach Stundensätzen abrechnen. Hintergrund ist eine weitere Besonderheit des Baurechts: die Dicke der Akten! Ich habe zum Beispiel einen Fall mittlerer Größe, da ist eine Sanitäranlage im Hotel falsch eingebaut worden, Streitwert drei Millionen Euro. Das klingt erst mal gar nicht so schlecht. Allerdings füllt der Fall ganze 60 Aktenordner! Wenn Sie die nach Gebührenordnung bearbeiten, landen Sie bei einem Stundensatz von vielleicht 60 Euro. Das geht natürlich nicht.

Zum Abschluss noch eine ganz andere Frage: Wie sind Sie eigentlich zum Baurecht gekommen?

Angefangen habe ich bei Freshfields Deringer in Köln, die damals 12 Mitarbeiter hatten. Ich war Nummer 13. Heute beschäftigt die Kanzlei rund 2.500 Rechtsanwälte. Damals gehörte die Strabag AG zu unseren Mandanten. Die hatten Probleme auf einer Großbaustelle im Irak in Basra. Dort wurde ein Flughafen gebaut, Bausumme rund eine Milliarde US-Dollar. Ich beriet in mehreren sehr umfangreichen Schiedsgerichtsverfahren und war dazu mehrfach da unten auf der Baustelle, auch zu Kriegszeiten. Das war schon eine spannende Zeit und sicher ein Ausnahmestart ins Baurecht. Und vielleicht auch mit ein Grund, warum ich diesem interessanten Rechtsgebiet bis heute treu geblieben bin.

Herr Professor Thierau, vielen Dank für das Gespräch.

 

Zur Person

Prof. Thomas Thierau ist seit 30 Jahren im Baurecht tätig. Seine Schwerpunkte sind Privates Bau- und Immobilienrecht, Architekten-, Ingenieur- und Projektsteuerungsrecht, immobilienrechtliche Komplementärbereiche (Erwerb, Nutzung und Verwertung von Immobilien, Gesellschaftsrecht), Litigation, Schiedsrichter in Bau- und Schiedsgerichtsverfahren, Immobilien-Development, nationale und internationale Bauvergabe, Bau-Schlichtung. Er ist Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein und Vorstandsmitglied im Förderverein für Privates Baurecht an der Universität Marburg. Als Honorarprofessor leitet er gemeinsam mit Professor Andreas Mitschein an der Fachhochschule Münster den Masterstudiengang „Baurecht im Lebenszyklus von Bauwerken“ und ist zugleich auch Lehrbeauftragter für Baurecht an der Universität Marburg.

Foto: Presseamt Stadt Münster