Bitte nicht nachtragend sein!

Was für den Bauunternehmer das Salz in der Suppe, ist für den Bauherrn oftmals eine finanzielle Herausforderung: Nachträge. Gerade in Zeiten von massiv steigenden Preisen für Baumaterialien ist das Thema aktueller denn je. In seinem Gastbeitrag in der Zeitschrift "bauen" befasst sich Rechtsanwalt Florian Herbst mit den Besonderheiten von Nachtragsforderungen.

Bei „Nachträgen“ handelt es sich in der Regel um zusätzliche Vergütungsforderungen, die der Bauunternehmer neben der vertraglich vereinbarten Vergütung stellt. Diese spielen in der Baupraxis eine große Rolle und sind häufig Grund für Auseinandersetzungen. Ein Bauvorhaben ohne Nachträge gibt es praktisch nicht, denn Nachtragsforderungen können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Anlass sind zumeist – gewollte oder ungewollte – Änderungen der Planung oder Änderungen im Bauablauf, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht erkennbar waren. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es um die Errichtung eines Einfamilienhauses oder eines Einkaufszentrums geht. Schon der Bau eines Bungalows erfordert hunderte, wenn nicht gar tausende Planungs­entscheidungen des Bauherrn, die naturgemäß nicht alle vor Vertragsschluss getroffen werden können. Da viele Bauvorhaben unter erheblichem Zeitdruck stehen, werden Bauverträge oftmals zu einem Zeitpunkt geschlossen, zu dem die Planung noch nicht abgeschlossen ist. Dies geht nicht nur dem gemeinen „Häuslebauer“ so, sondern betrifft auch viele Großbauprojekte und ist nicht selten der Grund für massive Bauverzögerungen und Mehrkosten, wie sie beispielsweise bei der Elbphilharmonie oder dem Flughafen BER (neben vielen weiteren Ursachen) zu beobachten waren. Kostensicherheit und baubegleitende Planung gehen in den seltensten Fällen Hand in Hand.

Mehrkosten durch nachträgliche Änderungen

Die nachtragsrelevante Änderung kann den „Bauinhalt“ betreffen, wenn sich also das „Was“ des Baus ändert. 

Entscheidet sich der Bauherr nach Abschluss des Bauvertrages dafür, statt der vertraglich vorgesehenen Kunststofffenster doch lieber optisch ansprechendere Holzfenster einbauen zu lassen, ist es nur nachvollziehbar, dass er hierfür „tiefer in die Tasche“ greifen muss und die höheren Materialkosten des Bauunternehmers zu übernehmen hat.

Nachträge können außerdem die Bauumstände betreffen, wenn sich also das „Wie“ der Bauausführung ändert, das Bauwerk an sich aber unverändert bleibt. Kann beispielsweise der Lastkran nicht wie geplant vom Bauherrn zur Verfügung gestellt werden und muss der Bauunternehmer daher auf aufwändigerem Wege den Transport seiner Baumaterialien organisieren, wird er für diesen Mehraufwand eine zusätzliche Vergütung verlangen können.

Nachtragsforderungen mit Konfliktpotenzial

Die genannten Beispiele sollen kein falsches Bild von dem Thema Nachträge vermitteln. Nicht selten sind Bauherren mit Nachtragsforderungen konfrontiert, die deutlich vielschichtiger sind, keine klare Zuordnung zu einer Vertragspartei ermöglichen und bei denen selbst der erfahrenste Baujurist ins Grübeln kommt, ob und wenn ja, in welcher Höhe dem Bauunternehmer nunmehr eine zusätzliche Vergütung zusteht. In diesem Fall besteht Konfliktpotential, welches nicht mit einem Blick in das Gesetz gelöst werden kann. Derartige Nachtragsstreitigkeiten erfordern eine eingehende Auseinander­setzung mit der vertraglichen Vereinbarung der Parteien, den Umständen ihres Zustande­kommens sowie oftmals auch einer technischen Beurteilung der Nachtragsthematik. Mit anderen Worten, diese sind derart individuell, dass sie sich nicht in Gesetzesform gießen lassen.

Nur ein Beispiel: In einem Bauvertrag verpflichtet sich ein Bauunternehmer gegenüber einem Verbraucher zu einer „fix-und-fertigen“ Bauausführung eines Einfamilienhauses auf Basis eines Festpreises. Sämtliche Risiken der Ausführung sollen, so der Bauvertrag, dem Unternehmer obliegen. Dieser hatte zuvor das hierfür vorgesehene Grundstück besichtigt; der Bauherr hatte ihm sogar ein Bodengutachten des Voreigentümers übergeben, welches sich eingehend mit der Beschaffenheit des Bodens auseinandersetzt. Bei Aushub der Baugrube stellt sich jedoch heraus, dass das Bodengutachten die Qualität des Bodens unzureichend beschreibt. Ein partieller Bodenaustausch ist notwendig, um eine ausreichende Standfestigkeit für den späteren Hausbau zu gewährleisten. Steht dem Unternehmer nunmehr ein Anspruch auf Erstattung dieser Mehrkosten zu oder ist er an seinen Festpreis gebunden? Keine leichte Frage, denn im Bauvertrag wurden sämtliche Risiken der Bauausführung dem Bauunternehmer übertragen. Hierunter fällt sicherlich auch das Risiko, dass sich der Boden des Baugrundstücks anders darstellt als zunächst angenommen. Eigentümer des Grundstücks ist jedoch der Bauherr. Dieser hatte zudem das fehlerhafte Bodengutachten vorgelegt. Womöglich ist es vor diesem Hintergrund zu weitgehend, dem Unternehmer derart unvorhersehbare Risiken aufzubürden. Lebhafte Diskussionen auf der Baustelle, wie mit den zusätzlichen Kosten umzugehen ist, sind vorprogrammiert.

Wer trägt steigende Baustoffkosten?

Bei der derzeit zu beobachtenden Preisexplosion für Baumaterialien stellt sich ebenfalls die Frage, ob der Bauunternehmer hieraus einen zusätzlichen Vergütungs­anspruch ableiten kann. Die gute Nachricht für die Bauherren ist zunächst einmal: Nein. In Bauverträgen werden regelmäßig Festpreise vereinbart. Das sogenannte Materialbeschaffungsrisiko liegt in diesem Fall beim Bauunternehmer. Dieser trägt das Risiko, dass es nach Vertragsschluss zu Preissteigerungen kommt. Wie nahezu jede eindeutige Einschätzung eines Juristen ist jedoch auch diese mit Einschränkungen zu versehen. Wurde im Rahmen des Bauvertrages eine sogenannte Stoffpreisgleitklausel vereinbart, kann der Bauunternehmer – sofern die Klausel wirksam ist – die Kostensteigerungen auf den Bauherrn abwälzen. Derartige Klauseln finden sich jedoch eher selten in Verbraucherverträgen.

Die Erfahrungen in der Praxis zeigen zudem, dass sich nicht jeder Bauunternehmer an die Rechtsordnung gebunden fühlt. Es kommt vor, dass auf die Ablehnung einer Bitte um Kostenbeteiligung an den Preissteigerungen mit einem Baustopp oder einer „Flucht“ von der Baustelle reagiert wird. Dies mag angesichts von Preissteigerungen für Holz von mindestens 50 % oder für Dämmmaterialien von knapp 25 % menschlich nachvollziehbar sein. Auch der Bauunternehmer muss die Wirtschaftlichkeit seines Betriebes im Blick behalten. Und natürlich trifft ihn keine Schuld an den Ursachen für die noch immer steigenden Materialkosten, die der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Auswirkungen auf den Welthandel geschuldet sind. Gleichwohl sind einmal geschlossene Verträge einzuhalten, was nicht umsonst ein fundamentales Prinzip im deutschen Recht darstellt. Der Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen, mag kurzfristig gelingen, stellt den Bauunternehmer jedoch langfristig vor Probleme.

Recht haben oder Weiterbauen?

Seine an sich gute Rechtsposition sollte den Bauherrn jedoch nicht übermütig werden lassen. Was rechtlich möglich ist, muss gleichzeitig nicht auch geboten sein. Aus Sicht eines Bauherrn gilt es sehr genau abzuwägen, einen Bauunternehmer mit den derzeitigen Preissteigerungen allein zu lassen. Noch kein Bauherr hat von einer Insolvenz seines Baupartners profitiert. Im Gegenteil. Geht es insolvenzbedingt auf der Baustelle nicht weiter, sind Mehrkosten vorprogrammiert, für die niemand anderes als der Bauherr aufzukommen hat.

Ein anderes Problem neben den Kostensteigerungen sind die diesen zugrunde liegenden Lieferengpässe. Der Bauunternehmer mag noch so tat- und der Bauherr noch so zahlungskräftig sein, wenn die Materialien nicht geliefert werden können, geht es auf der Baustelle nicht voran. Rein rechtlich ist auch dies wiederum ein Problem des Bauunternehmers. Gras wächst jedoch nicht schneller, wenn man daran zieht. Der Bauherr mag hieraus ein Schadensersatzanspruch wegen der entstehenden Verzögerungen zustehen; ob er diesen durchsetzen kann, ist eine andere Frage. Das Bauvorhaben wird hierdurch jedenfalls nicht schneller fertig. An dieser Stelle hilft es vielleicht, an die Kreativität des Bauunternehmers oder des vom Bauherrn eingeschalteten Architekten zu appellieren und beispielsweise auf schneller zu beschaffende Alternativprodukte umzusteigen. Selbstredend sollten diese zugelassen und gleichwertig sind.

Teuren Nachtragsstreit vermeiden

Die Schilderungen aus der Praxis zeigen, dass der Umgang mit Nachtragsforderungen gelernt sein will.

Nicht immer ist die Zurückweisung einer diskutablen Nachtragsforderung die einzig richtige Entscheidung. Abzuwägen sind auch die Folgen, die hiermit einhergehen können.

Stellt der Bauunternehmer daraufhin die Arbeiten ein, entsteht die am Bau so gefürchtete „Patt-Situation“, die auf beiden Seiten Zeit, Geld und Nerven kostet. Eine Auflösung dieser Situation erfordert viel Verhandlungsgeschick und Erfahrung, gerade wenn eine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden werden soll. Bauherren sollten in diesem Fall keine falsche Scheu vor dem Gang zu einem auf Baustreitigkeiten spezialisierten Anwalt haben; dieser kennt die Problematik, nimmt eine einzelfallbezogene Risikobewertung vor und stimmt auf dieser Basis mit seinem Mandanten das weitere Vorgehen ab. Genauso wie beim Vertragsschluss gilt auch hier: Vorsorge ist besser als Nachsorge.

Rechtsanwalt Florian Herbst

  • Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
  • Mitglied der ARGE Baurecht
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Der Beitrag „Bitte nicht nachtragend sein!“ erschien zuerst in der Zeitschrift „bauen.", Ausgabe 8-9/2021. Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.